Wo die wilden Kerle wohnen

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Aus den kaum mehr als 300 Wörtern von Maurice Sendaks berühmtem Kinderbuch, macht Spike Jonze weniger einen Film für Kinder, als einen Film über die Vorstellung einer bestimmten Sorte Erwachsener von Kindheit. Eine interessante Mischung aus Hollywood-Großproduktion und fast experimentell gedrehtem Autorenfilm.

Webseite: www.wodiewildenkerlewohnen-derfilm.de

USA 2009, 101 Minuten
Regie: Spike Jonze
Drehbuch: Spike Jonze, Dave Eggers, nach dem Buch von Maurice Sendak
Musik: Carter Burwell, Karen O.
Darsteller: Max Records, Catherine Keener, Mark Ruffalo, Pepita Emmerichs, Steve Mouzakis
Verleih: Warner Bros.
Kinostart: 17. Dezember 2009
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Was 1963 als kleines Kinderbuch begann, entwickelte sich schnell zum Generationenübergreifenden Kult. „Wo die wilden Kerle wohnen“ von Maurice Sendak, ist eines der erfolgreichsten Kinderbücher aller Zeiten, wurde als Oper adaptiert, inspirierte zahlreiche Nachahmer und ließ selbstverständlich auch Hollywood aufhorchen. Nur, wie sollte man eine in großen, klaren Bildern erzählte Geschichte, die wenig mehr als 300 Worte umfasste und in einem Satz zusammengefasst werden kann, in einen abendfüllenden Spielfilm verwandeln?

Man kann sich momentan kaum einen Regisseur vorstellen, der für diese Aufgabe besser geeignet wäre, als Spike Jonze. Mit zahllosen brillanten Musikvideos und den beiden außerordentlichen Spielfilmen „Being John Malkovich“ und „Adaptation“ zeigte Jonze großes Gespür für etwas andere Geschichten, vor allem aber ein scheinbar unendliches Maß an Imaginationskraft. Was genau das Thema der Wilden Kerle ist: Der kleine junge Max ist wütend und imaginiert sich eine urwaldartige Welt, in der wilde, aber doch liebe Kerle hausen, deren König er wird. Am Ende jedoch kehrt er in sein Zimmer zurück, wo sein heißes Essen auf ihn wartet. Die Erzählung ist so offen und frei, dass sie im Lauf der Zeit Aufhänger für freudianische, antiautoritäre und zahllose andere Lesarten wurde. Jonze entschloss sich für eine psychologische Lesart, die eher wenig originell wirkt. Zusammen mit dem Autor Dave Eggers macht er aus den Wilden Kerle ziemlich neurotische Wesen, die sich fortwährend über ihre Probleme und Sorgen auslassen und sich einsam und allein fühlen. Also genauso, wie es Max in seiner Welt ergeht. In einer längeren Eingangssequenz sieht man Maxs normales Leben als Scheidungskind. Seine Mutter (Catherine Keener) ist zwar liebevoll, schenkt Max aber nicht die Aufmerksamkeit, die dieser gerne hätte. Besonders der neue Verehrer der Mutter (Mark Ruffalo) missfällt Max, der in seinem Ganzkörperkostüm ohnehin ein offensichtlicher Außenseiter ist. Kurz entschlossen beginnt Max nach einem eskalierten Streit zu rennen und zu rennen, bis er schließlich im Wald bei den wilden Kerlen landet. Mit ihnen erlebt er einige Abenteuer, die Jonze zusammen mit seinem Stammkameramann Lance Acord in bisweilen wunderbare Bilder einfängt. In den besten Momenten mutet der Film tatsächlich wie der Traum einer idealen Kindheit an: Ohne Regeln herumtollen, wild durch den Wald toben, die Lust am Leben herausschreien.

Immer wieder laden Jonze und Eggers diese zarte Geschichte allerdings mit ihren eigenen Neurosen auf, ihrem eigenen Außenseitertum, das sie im Lauf ihrer Karrieren zum Markenzeichen erhoben haben. In den verdrehten Szenarien eines Charlie Kaufmanns – dem Drehbuchautor der beiden früheren Jonze-Filme – fanden solche Reflektionen übers Außenseitertum eine ideale Projektionsfläche. Die kleine, offene Erzählung Maurice Sendaks allerdings, wird dadurch oft etwas überfrachtet. Was sich allerdings kaum vermeiden lässt, wenn man aus einem kleinen Kinderbuch einen großen Hollywoodfilm macht. Und für einen annährend 100 Millionen Dollar teuren, mit aufwändiger Tricktechnik gedrehten Film, mutet „Wo die wilden Kerle wohnen“ wiederum fast experimentell an. Eine etwas bizarre Mischung also, eine nur bedingt gelungene Adaption, aber ein unbedingt sehenswerter Film.

Michael Meyns