Mit seinen Filmen hält der israelische Regisseur Nadav Lapid der Gesellschaft Israels und den Politikern seines Landes seit jeher den Spiegel vor. In seiner fünften abendfüllenden Regiearbeit „Yes“ macht er dies radikaler und unnachgiebiger als je zuvor. Er kreiert einen exzessiven, fast reizüberflutenden Mix aus Musik, Bildern, Party-Ekstase, Tabubrüchen und stilisierter Coolness – hin und wieder durchbrochen von stillen, poetischen Momenten der Nachdenklichkeit. Die Mischung aus Satire, Drama und Selbstfindungstrip zeigt Menschen, die sich betäuben müssen, um die Realität und das Gefühl der allgegenwärtigen Bedrohung aushalten zu können.
Über den Film
Originaltitel
Yes
Deutscher Titel
Yes
Produktionsland
FRA,DEU,ISR,ZYP
Filmdauer
150 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Lapid, Nadav
Verleih
Grandfilm GmbH
Starttermin
13.11.2025
Nach dem verheerenden Anschlag vom 7. Oktober ist die Bevölkerung Israels traumatisiert. Auch Y. (Ariel Bronz), ein Jazzmusiker, befindet sich in Schockstarre. Außerdem kämpft er immer wieder mit finanziellen Problemen, da die Auftragslage schwankt. Ein Grund: Die Kundschaft ist eine ganz spezielle. Gemeinsam mit seiner Frau Jasmine (Efrat Dor), einer Tänzerin, verdient er sein Geld damit, die Oberschicht Tel Avivs mit extravaganten, freizügigen Shows zu unterhalten. Als Y. von einem russischen Oligarchen den Auftrag erhält, eine neue patriotische Nationalhymne für seine Heimat zu komponieren, gerät er in einen inneren Konflikt: Verleugnet er seine Werte und Ideale zugunsten von Ruhm und Geld? Unterstützung findet er bei seiner Ex-Freundin Leah (Naama Preis), die ihm hilft, sich mit den neuen Realitäten auseinanderzusetzen und eine veränderte Perspektive einzunehmen.
Y. und seine Partnerin Jasmine sind zwei Getriebene, die bei ihren Shows für die Schönen und Reichen Räume für Weltflucht und Ablenkung schaffen. Nach dem Terrorangriff der Hamas und den darauffolgenden Angriffen Israels im Gazastreifen sehnen sich auch die wohlhabenden Kunden der Beiden nach Abwechslung und (oberflächlichem) Vergnügen. Und das gewähren ihnen Y. und Jasmine, die in ihren Darbietungen eine Mixtur aus harten Dance- und Elektro-Beats, körperbetonten Tänzen und angedeutetem Sex gewähren.
Nadav Lapid, der selbst aus Tel Aviv stammt, filmt diese hemmungslosen Performances mit ungezügelter Handkamera. Gleich die wilde Eröffnungssequenz zu den pumpenden Klängen des Euro-Dancefloor-Klassikers „Be My Lover“ gibt die Richtung vor. Und der hierfür gewählte Song hätte, in Sachen Text und Stimmung, kaum besser gewählt werden können. Coolness, Hedonismus, Dekadenz und orgiastischer Spaß sind alles was zählt. Zumindest im ersten Akt des in drei Kapiteln unterteilten Films, in dem verrückte, zum Teil durchaus irritierende Musik- und Tanz-Szenen, die Y. und Jasmine sowohl auf Partys als auch bei sich zu Hause zeigen, dominieren. Später im Film, im zweiten Kapitel, halten – kurzzeitig – Ruhe und Entschleunigung Einzug. Wenn Y. mit Leah an die Grenze zu Gaza fährt, um sich ein Bild von der Lage zu machen, kommt es zu Momenten ergreifender Stille und fast poetischer Schwermut.
Die Hauptdarsteller Bronz und Dor spielen die zwei mit sich und dem Leben überforderten Mittdreißiger Y. und Jasmine sehr überzeugend. Dabei haftet den beiden durchaus etwas Tragisches an. Für Lapid stehen sie stellvertretend für viele Israelis, die die dramatischen Ereignisse und politischen Entwicklungen in ihrer Heimat nicht verstehen und verarbeiten können. Das Politische überwältigt das Persönliche und dringt ins Leben sowie in den Alltag der Bewohner ein. Deshalb, nicht zuletzt um die Gedanken an die unsichere Zukunft auszuhalten, betäuben sie sich. Y. und Jasmine haben ein Kind, sind mit der Erziehung aber ebenso überfordert wie mit der schwankenden finanziellen Situation.
Unterschwellig verhandelt Lapid in „Yes“ daher noch etwas anderes. Der Film thematisiert zwischen den Zeilen die prekären Verhältnisse, in denen viele Künstler, Solopreneure und Freiberufler leben. Er meint damit gleichsam die Not aller Menschen in Kriegs- und Krisenregionen, die von Tag zu Tag (über)leben. Es geht ums Durchkommen und für Geld tut man alles. Wie Y. und Jasmine, die sich und ihre Körper verkaufen. In einer der bizarrsten Szenen erfüllen sie die erotischen Fantasien einer älteren Dame, die sich mit Vorliebe die Ohren sanft ausschlecken und andere erogene Zonen des Gesichts lüstern anknabbern lässt. Verstörend.
Aufgrund seiner schnörkellosen Direktheit und der epischen Laufzeit von 150 Minuten verlangt „Yes“ dem Zuschauer einiges ab. Und trotz der Struktur gewährenden Aufteilung in verschiedene Kapitel, verheddert sich Lapid innerhalb dieser Passagen bisweilen in seiner ausgefransten, konfusen Erzählstruktur. Die wahre Flut an Bildern, Sounds, Themen und visuellen Experimenten (inklusive farblicher Verfremdungen) ist harter Tobak und nah an der Grenze zur Reizüberflutung. Radikales, mitreißendes Indie-Kino, das sich jeglichen Regeln und filmischen Konventionen entzieht.
Björn Schneider