Yesterday

Zum Vergrößern klicken

Eine Welt ohne die Beatles – ohne John, Paul, George, Ringo und ihre Songs – eigentlich unvorstellbar! Doch der Regiestar Danny Boyle („Slumdog Millionaire“) und sein Drehbuchautor Richard Curtis („Notting Hill“) nehmen genau dieses Thema und wirbeln es gründlich durcheinander. Das Ergebnis ist ein zauberhafter und absolut sommerhit-verdächtiger Musikfilm in bester britischer Komödientradition. Richtig schön!

Webseite: https://upig.de/micro/yesterday

Großbritannien, 2019
Regie: Danny Boyle
Drehbuch: Richard Curtis
Darsteller: Himesh Patel, Lily James, Kate McKinnon, Ed Sheeran, Ana de Armas, Lamorne Morris, Sophia Di Martino, Joel Fry, Ellise Chappell, Harry Michell, Alexander Arnold
Kamera: Christopher Ross
Musik: The Beatles, Daniel Pemberton
117 Minuten, frei ab 0 J.
Verleih: Universal
Kinostart: 11. Juli 2019

FILMKRITIK:

Jack Malik ist ein zwar begeisterter, aber leider vollkommen erfolgloser Musiker, der von der großen Karriere träumt, aber stattdessen auf Kindergeburtstagen oder in leeren Festzelten spielt. Seine beste Freundin, die Lehrerin Ellie, kann an Jacks Misere nichts ändern, obwohl sie alles tut, um ihm zu helfen. Sie ist Managerin, Chauffeur und Roadie in einer Person. Nach einem besonders deprimierenden Auftritt beschließt Jack, sich komplett von der Bühne zurückzuziehen. Auf dem Heimweg wird er infolge eines plötzlichen weltweiten Stromausfalls von einem Bus erfasst und durch die Luft geschleudert. Schwer verletzt erwacht er im Krankenhaus. Als er wieder halbwegs fit ist, greift Jack bei einem Treffen mit seiner alten Clique zur Gitarre und singt „Yesterday“. Dabei erfährt er, dass er offenbar der einzige ist, der sich an die Beatles erinnert. Alle bewundern den Klassiker als neues Werk von Jack. Und tatsächlich ergeben Jacks Recherchen: Die Fab 4 sind nicht nur aus Google verschwunden, sondern aus dem kollektiven Gedächtnis der gesamten Welt. Jack erkennt seine Chance und versucht es noch einmal mit der Musik, diesmal mit den Songs der Beatles statt mit seinen eigenen. Die meisten Texte kennt er aus dem FF, und tatsächlich: Es dauert nicht lange, und man wird auf Jack aufmerksam. Sogar Ed Sheeran, der berühmte Singer/Songwriter, will ihn kennenlernen. Er nimmt Jack kurzerhand auf seiner Tournee mit und bringt ihn nach Los Angeles, wo er die sehr energische und sehr geldgierige Managerin Debra Hammer kennenlernt. Sie macht aus ihm in Windeseile einen Weltstar. Doch je größer Jacks Erfolge werden, desto mehr plagt ihn sein schlechtes Gewissen, weil er die genialen Songs der Beatles als seine eigenen ausgibt. Außerdem fehlt ihm Ellie. Und dann ist da noch das kleine gelbe Unterseeboot, das ihm immer öfter begegnet.

Richard Curtis, dem so großartige Filme wie „4 Hochzeiten und ein Todesfall“, „Notting Hill“ und „Tatsächlich Liebe“ zu verdanken sind, hat ein hinreißendes Märchen geschrieben, eine gelungene Mischung aus Rom-Com und Musical. Dafür hat er tief in die Autoren-Trickkiste gegriffen und viele coole Schlenker eingebaut – und natürlich jede Menge Beatles-Songs, die in manchmal überraschenden neuen Arrangements den gesamten Film begleiten. Curtis spielt souverän mit Versatzstücken aus seinen Filmen und zitiert sich manchmal selbst, was auch für die Liebesgeschichte zwischen Jack und Ellie gilt, die ein wenig an „Notting Hill“ erinnert. Doch im Vordergrund steht die wunderbar absurde Grundidee, dass die Beatles und ihre Musik plötzlich vergessen sind – wie übrigens auch einige andere kulturelle Errungenschaften. Das alles ist hübsch ausgedacht und bietet neben tollen Dialogen jede Menge Situationskomik.

Der britische Regiestar Danny Boyle (u. a. „Slumdog Millionär“) inszeniert den opulent ausgestatteten Film mit viel Tempo und findet brillant komponierte Bilder und eine vor allem in den Songs oft extrem gelöste Stimmung, die stark an die Swinging Sixties erinnert.

In beeindruckender Weise setzt Danny Boyle seinen Hauptdarsteller in Szene. Der Newcomer Himesh Patel hat viel vom jungen Hugh Grant, obwohl er ihm äußerlich denkbar unähnlich ist. Jack ist ebenso liebenswert unbeholfen und verfügt über einen beachtlichen Charme, auch wenn er nicht gerade ein Frauenheld ist. Geradezu vorbildlich geht Himesh Patel mit den indischen Wurzeln seines Stars um: Er thematisiert sie nicht. So viel selbstverständliche Akzeptanz wünscht man sich öfter, besonders im deutschen Film, wo bei der Besetzung von Rollen oft noch ein eher einfallsloses Typecasting betrieben wird. Himesh Patel nimmt seine Rolle sehr ernst und macht Jack zu einer liebenswerten Persönlichkeit mit vielen Facetten, und genau so soll es sein in einer Komödie, trotz aller Situationskomik. Dabei singt er ebenso ausdrucksstark, wie er spielt, und zeigt auch darin eine Steigerung. Anfangs imitiert er die Beatles eher, später findet er zu einem eigenen Stil, der oft stimmungsabhängig ist. Lily James spielt Ellie, Jacks niedliche Kumpeline und heimliche Liebe, was auch umgekehrt gilt. Ed Sheeran spielt sich selbst als Jacks Mentor und Förderer. Dabei zeigt er viel Selbstironie. Als Jacks Sidekick ist Joel Fry ein total verpeilter Roadie, der auf der Tournee Ellies Position einnimmt oder es wenigstens versucht. Sie kann Jack nicht begleiten, weil sie als Lehrerin arbeitet. Immerhin steigert die Entfernung die beidseitige Sehnsucht.

Im Grunde geht es hier um Kunst und Künstler sowie um den scheinbaren Widerspruch zwischen Kunst und Kommerz. Danny Boyle und Richard Curtis zeigen mit Jack einen Menschen, der von der Leidenschaft für Musik erfüllt ist. Wenn er sich entschließt, die Songs der Beatles als seine eigenen auszugeben, dann nicht nur, um zu sehen, ob er damit reich wird. Er will das musikalische Erbe von John, Paul, George und Ringo erhalten und weitergeben. Nicht jeder Musiker ist ein Mozart, nicht jeder Fußballer ein Pelé. Es gibt nicht nur Genies. Jack ist so ein Kunstarbeiter, dem vielleicht nur eine kleine Portion Glück fehlt – oder ein weltweiter Stromausfall. Doch wie wichtig sind Ruhm und Reichtum?

Boyle und Curtis haben gemeinsam eine Liebeserklärung an die Beatles und ihre Musik geschaffen, eine Verbeugung vor den Fab 4, die vielleicht mehr mit dem künstlerischen Selbstverständnis der beiden Filmemacher zu tun hat, als man denkt, auf jeden Fall aber mit dem alten Wunsch nach Unsterblichkeit. Das hört sich ein bisschen pathetisch an, aber ein bisschen Pathos gehört schließlich in jede Komödie. Hier überwiegt allerdings eindeutig der liebenswerte Humor. Manche Szenen könnten unvergesslich werden und damit den Film ebenfalls unsterblich machen: Wie Jack versucht, sich in komischer Verzweiflung an den Text von „Eleanor Rigby“ zu erinnern, oder wie er seinen musikalisch ahnungslosen, ansonsten goldigen Eltern mit großer Inbrunst „Let it be“ vorspielen will und dabei ständig unterbrochen wird.

Am Ende heißt es „All you need is Love“, und diese größte aller Beatles-Hymnen setzt den gelungenen Schlusspunkt hinter einen Gute-Laune-Film der Extraklasse.

Gaby Sikorski