Yves’ Versprechen

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Die Doku „Yves‘ Versprechen“ handelt von einem Kameruner, der seine Heimat verließ, um in Europa sein Glück zu suchen. Scheitern darf er nicht, denn Yves‘ Geschwister und Vater erwarten, dass er die Geschicke der Familie endlich zu einem Besseren wendet und sie aus der Armut befreit. Regisseurin Melanie Gärtner nimmt sich in langen, intensiven Gesprächen Zeit für ihre Protagonisten und arbeitet behutsam deren größte Sorgen und Hoffnungen heraus.  „Yves‘ Versprechen“ erzählt von der schweren Last der Verantwortung, dem Traum von einer besseren Zukunft und der Unmöglichkeit aufzugeben.

Webseite: http://yves-promise.com/de

Deutschland 2017
Regie: Melanie Gärtner
Drehbuch: Melanie Gärtner
Länge: 79 Minuten
Kinostart: 24. Januar 2019
Verleih:  jip film & verleih

FILMKRITIK:

Yves sitzt seit acht Jahren in Spanien fest. Einst hat er seine Heimat Kamerun verlassen, um in Europa ein neues Leben zu beginnen. Doch dieses Vorhaben gestaltete sich weitaus schwieriger als gedacht, denn ohne gültige Papiere ist der Neustart in der Fremde unmöglich. Während all der Jahre in Spanien, hat Yves‘ Familie nichts von ihm gehört. Die Filmemacherin Melanie Gärtner zeichnet Videobotschaften von Yves auf, reist damit nach Kamerun und trifft dort seine Familie. Einerseits sind Yves‘ Vater und Geschwister froh, dass er am Leben ist. Andererseits aber sind sie enttäuscht, dass Yves noch kein Geld schicken konnte. Immerhin hat er es ins gelobte Europa geschafft.

Flucht, Migration und Menschenrechte – das sind die Themen, mit denen sich Melanie Gärtner in ihren Filmen, Texten und Bildern häufig auseinandersetzt. So zum Beispiel in ihrem Debütwerk von 2012, der Dokumentation „Im Land dazwischen“, in dem sie die Situation in der spanischen Exklave Ceuta schildert. Auf die Geschichte rund um Yves und seine Familie stieß die studierte Ethnologin und Literaturwissenschaftlerin im Rahmen einer Recherchereise durch Westafrika.

Dutzende filmische Arbeiten, Dokumentationen wie Spielfilme, befassten sich in den vergangenen Jahren mit der globalen Flüchtlingskrise oder mit ihr zusammenhängenden Familienschicksalen: von „Les Sauteurs“ und „My Escape“ über „Iraqi Odyssey“ und „Havarie“ bis hin zu „Mediterranea“. Umso beachtlicher ist, dass Gärtner dem Zuschauer hier nochmals eine ganz eigene, vielschichtige Perspektive eröffnet. Der Film macht unmissverständlich klar, welch falsche, zumeist sehr naive Erwartungshaltungen die Geflüchteten und ihre Angehörigen an das neue Leben im reichen Europa knüpfen.

So verbreiten unter anderem die unzähligen Videos in den sozialen Netzwerken die Mär vom sorgenfreien Leben in Europa, den zahlungskräftigen Behörden, all den gut bezahlten Jobs und sogar einem Begrüßungsgeld, das Geflüchteten dort angeblich zustehe. Dass die Realität eben anders aussieht, muss auch Yves‘ Familie schmerzhaft anhand der Videos erfahren. Er sei noch nicht am Ziel angelangt und habe keine Arbeitserlaubnis, sagt er. Aber er kämpfe weiter, melde sich bald wieder und dann werde alles gut. Vieles bleibt vage und kryptisch.

Dass Yves in Wahrheit seit langer Zeit in einem Studentenwohnheim festsitzt und immer wieder unter Brücken campieren muss, wissen sie nicht. Doch Yves will ihren Glauben an eine bessere Zukunft am Leben halten. Gärtner fungiert in all diesen Momenten als Vermittlerin zwischen Yves und seiner Familie, wenn sie – mit den digitalen Botschaften im Gepäck –zwischen Europa und Afrika hin- und herreist. Dabei fängt sie die unmittelbaren, emotionalen Reaktionen der Betrachter auf die Videos ein.

„Yves‘ Versprechen“ zeigt zudem, welch immenser Druck mitunter auf den Flüchtlingen und Asylsuchenden lastet. Für viele geht es nicht nur darum, um das eigene Überleben zu kämpfen, sondern von Europa aus auch noch die Existenz der Familie in der Heimat zu sichern. So spricht Gärtner etwa mit Yves‘ jüngerem Bruder, der den Halt im Leben verloren hat und dringend finanzielle Unterstützung benötigt. In einer anderen Szene ist sie Zeuge eines Gesprächs, das Yves halb blinder Vater mit einem Jugendfreund seines Sohnes führt. Der schwere kranke, alte Mann erzählt, wie dringend er ein Hörgerät benötigt. Es ist offensichtlich, in wen er seine Hoffnungen setzt, damit dieser Wunsch erfüllt wird. All diese intimen, genauen Beobachtungen  sind eine weitere, große Stärke des Films.

Björn Schneider