Zikaden

Das Drama über zwei sehr gegensätzliche Frauen, die vielleicht Freundinnen sein oder werden könnten, ist ein gleichzeitig leichter und gewichtiger Film, klug durchdacht und bestimmt von einer sommerlich flirrenden, aber spannungsreichen Atmosphäre. Die beiden großen Charakterdarstellerinnen Nina Hoss („Tar“) und Saskia Rosendahl („Niemand ist bei den Kälbern“) spielen mit sprödem Charme die Hauptrollen: eine Immobilienmaklerin kurz vor dem Burn Out und eine alleinerziehende Mutter in ständiger Geldnot.

 

Über den Film

Originaltitel

Zikaden

Deutscher Titel

Zikaden

Produktionsland

DEU

Filmdauer

90 min

Produktionsjahr

2025

Produzent

LUPA Film

Regisseur

Weiße, Ina

Verleih

DCM Film Distribution GmbH

Starttermin

19.06.2025

 

Zu Beginn scheint die Situation so klar zu sein wie die mögliche Entwicklung der Geschichte: eine Provinzstory, in der es offenbar um ein kleines, wildes Mädchen, dessen Mutter und die Nachbarin geht. Diese Nachbarin ist die Immobilienmaklerin Isabell, die sich aufopferungsvoll um ihre Eltern kümmert und ständig zwischen Berlin und dem Umland pendelt, wo sie das Ferienhaus der Familie betreut. Ihr Vater, ein ehemals erfolgreicher Architekt, der dieses wunderbare Haus entworfen hat, wird immer pflegebedürftiger, aber weigert sich standhaft, das Haus zu verkaufen. Und da ist Anja, die um die Ecke im Dorf wohnt. Anja ist praktisch ständig pleite und auf Jobsuche. Eigentlich wäre sie die perfekte Pflegerin für Isabells Vater, aber darum geht’s dann eigentlich gar nicht, sondern vielmehr um die mögliche Freundschaft und vielleicht Liebe zwischen den beiden unterschiedlichen Frauen, die vor allem gemeinsam haben, dass sie sich um andere kümmern müssen. Isabell um ihren Vater und Anja um Greta, ihre kleine Tochter.

Aber so klar ist die Sache gar nicht, denn diese Geschichte, die ganz einfach sein könnte, wird immer komplexer und komplizierter. Dass beide Frauen mit ihrer jeweiligen Aufgabe nicht so richtig klarkommen, ist dabei lediglich ein kleiner Aspekt. Anja verschweigt ihren Chefs die Tochter, die dann auch viel zu häufig unbeaufsichtigt bleibt, was dem Kind jede Menge Gelegenheiten bietet, mit ihren kleinen Kumpels Unsinn zu machen. Aber Anja hat nun mal wenig Zeit für ihr Kind, sie ist auf ihren Job angewiesen, denn hier in der brandenburgischen Provinz gibt es kaum Arbeit. Isabell hat dagegen eher Luxusprobleme: Sie muss sich ständig mit den polnischen Pflegekräften ihres Vaters herumschlagen und gleichzeitig ihre Mutter davon abhalten, sich noch aufopfernder um ihren hinfälligen Mann zu kümmern.

Ina Weisse feierte zuletzt mit „Das Vorspiel“ einen großen Erfolg, ebenfalls mit Nina Hoss in der Hauptrolle – die überzeugende Charakterstudie einer innerlich zerrissenen Frau, die durch falschen Ehrgeiz ihre ganze Familie ruiniert. Und nun erzählt sie zwei Frauengeschichten, die scheinbar parallel verlaufen und sich nur gelegentlich kreuzen, aber sie erzählt sie auf eine sehr spezielle Weise und spielt dabei mit den Erwartungen des Publikums. Es ist eine eigentlich alltägliche Geschichte, aber doch etwas Besonderes. Denn diese beiden Frauen gehören unterschiedlichen Gesellschaftsschichten an. Das sollte heutzutage kein Problem sein, aber auf dem Lande gehen die Uhren anders. Die elegante, weltgewandte Isabell, gespielt von Nina Hoss, war früher oft im Ferienhaus ihrer Eltern in einem brandenburgischen Dörfchen. Inzwischen steht es leer – die Eltern kommen schon lange nicht mehr hierher. Anja, das Dorfkind, kennt Isabell natürlich von früher. Vielleicht hat sie das Mädchen sogar bewundert, aus dem eine lässige, scheinbar kühle Frau geworden ist, die etwas Unnahbares hat. Isabell ist verheiratet, und es sieht so aus, als ob ihre Ehe gescheitert ist. Vincent Macaigne spielt ihren französischen Ehemann, und wenn er sie verlässt, dann hat das etwas von einer Flucht. Es gibt Andeutungen, hin und wieder ein paar Details, was dahinterstecken könnte. Irgendwann kommt er sogar wieder zurück … alles nicht so wichtig. Denn hier zählen nur die beiden Frauen.

Schon als sich Anja und Isabell zum ersten Mal begegnen, scheint die Luft zwischen ihnen zu vibrieren. Da ist eine gewisse Anziehungskraft – vielleicht Liebe, vielleicht Begehren. Aber sie kommen aus unterschiedlichen Welten, und dieser Widerspruch steht unausgesprochen zwischen ihnen. Die Probleme der einen sind nicht die Probleme der anderen: Die eine wurde in den Wohlstand hineingeboren, die andere in die Armut. Und Ina Weisse macht daraus weder eine rührselige Kolportage à la Gutsherrin und Stallmagd noch eine kämpferische Unterschichts-Story, sondern sie schafft mit ihrer Parallel-Erzählung eine authentische und relativ unromantische Atmosphäre. Die Berührungspunkte zwischen beiden Erzähllinien entwickeln sich nur langsam, und das wirkt sehr realistisch.

Nina Hoss und Saskia Rosendahl, vom Typ her zwei gegensätzliche, aber gerade deshalb für diese Rollen absolut perfekt geeignete Darstellerinnen, spielen ihre Rollen mit sensiblem Feinschliff. Zwei Frauen in der Dauerkrise, die sich nichts anmerken lassen wollen. Da stimmt jede Geste, die eher sparsamen Dialoge sind so spannungsreich wie geheimnisvoll, und aus der scheinbar harmlosen Grundkonstellation entwickelt sich in hochsommerlich sonnenflirrenden Bildern eine durchaus realistische, aber kunstvoll verschlungene Geschichte, die gleichzeitig merkwürdig und alltäglich ist. So wie das Leben.

 

Gaby Sikorski

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