Zurück im Sommer

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Die family values sind den Amerikanern heilig. Auch in einem Film wie „Zurück im Sommer“, der trotz Star-Ensemble (Julia Roberts, Willem Dafoe, Emily Watson) mehr Independent als Mainstream ist, läuft es darauf hinaus. Zwar reißt Dennis Lee in seinem autobiografischen Familiendrama ziemlich tiefe Abgründe auf, doch am überstürzt wirkenden Ende werden sie etwas zu schnell zugeschüttet.

Webseite: www.zurueckimsommer.senator.de

OT: Fireflies in the Garden
USA 2008
Regie und Buch: Dennis Lee
Darsteller: Ryan Reynolds, Julia Roberts, Willem Dafoe, Emily Watson, Carrie-Ann Moss, Hayden Panettiere
Länge: 98 Minuten
Verleih: Senator
Kinostart: 7. August 2008

PRESSESTIMMEN:

Es macht Riesenspaß, so wundervolle Schauspieler in einem Film spielen zu sehen.
Brigitte

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FILMKRITIK:

Regisseur Dennis Lee bekam nach seinem Kurzfilm-Oscar die Chance für ein hochkarätig besetztes Spielfilmdebüt. Mit dem Ergebnis dürfte er nicht besonders glücklich sein. Denn es sieht so aus, als ob in seinen Film hineinregiert wurde – mit einem brachialen Schnitt, der Handlungsfäden kappt und abrupt zum Happyend führt. Am auffallendsten ist dies bei einem Nebenstrang, der in der Kindheit der Hauptfigur Michael (Ryan Reynolds) einsetzt. Im Haus seiner Familie ist die jugendliche Schwester Jane (Hayden Panettiere) seiner Mutter Lisa (Julia Roberts) zu Gast. Bei der erstbesten Gelegenheit versucht sie, den Jungen zu verführen. Was daraus wird, erfährt man nicht. Der Film kehrt zu diesem zweifellos bedeutsamen Ereignis nicht zurück. Und so wurde schon darüber spekuliert, dass das Thema Inzest aus Vermarktungsgründen im Schnitt entfernt wurde.

Wie auch immer: Der Film gerät dadurch aus der Balance, was bedauerlich ist, da er in Teilen mehr als solide erzählt wird. Die Anfangssequenz entfaltet elegant den Hauptkonflikt. Vater, Mutter und Sohn sitzen im Auto und mit wenigen Federstrichen wird das Beziehungsgeflecht deutlich. Der Vater (Willem Dafoe) ist ein Tyrann, seine Frau versucht ihn mit wachsender Verbitterung zu mäßigen, der Sohn verharrt in stiller Opposition. 20 Jahre später hat sich an dieser ehernen Konstellation nichts geändert. Man trifft sich zu einer Familienfeier und die früheren Konflikte sind mit zu Gast. Sie kommen zum Ausbruch, als die Mutter bei einem Autounfall stirbt. Weiteren Zündstoff liefert ein Romanmanuskript von Sohn Michael, das offenkundig die eigene Familiengeschichte enthält. Bei der Zusammenkunft, die unerwartet zum Requiem wird, belassen es die Anwesenden mit Andeutungen. Niemand will den jahrelangen Waffenstillstand ernsthaft verletzen. 

Was früher geschah und das Unglück in die Familie trug, wird in Rückblenden erzählt. Ein klug gewähltes Mittel, um das zum Vorschein zu bringen, was unter dem Deckel gehalten werden soll. Die Ereignisse der Vergangenheit sind nicht übermäßig schockierend, aber darauf kommt es dem Regisseur wohl auch nicht an. Er will offenbar eher zeigen, welche Prägekraft familiäre Konflikte haben und wie sie die Beteiligten lebenslang in Schach halten. Deshalb ist die überraschende Wendung  zum Guten nicht nachvollziehbar in einem Film, dessen atmosphärische Stärken durch eine etwas schleppende Handlungsentwicklung überlagt werden. Als stärkstes Bild bleibt ein Close up von Julia Roberts in Erinnerung, ungeschminkt und mit Falten im Gesicht. Da sieht man, wie sich die Spuren des (Familien-)Lebens in die Physiognomie einschreiben.
Volker Mazassek         
   

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Eine komplexe, bemerkenswerte Familiengeschichte. Sie sind ganz schön zahlreich: Charles Taylor (Willem Dafoe), der Literaturprofessor, mit seiner Frau Lisa (Julia Roberts) und den bereits erwachsenen Kindern Michael (Ryan Reynolds) und Ryne (Shannon Lucia), Michaels Frau Kelly (Carrie-Anne Moss) nicht zu vergessen. Dann Lisas Schwester Jane (Emily Watson) mit ihrem Mann Jimmy (George Newbern) sowie den Kindern Christopher (Chase Ellison) und Leslie (Brooklyn Proulx). Die Liste wäre nicht vollständig, würde nicht auch der Junge (Cayden Boyd) erwähnt, der die Rolle des Michael Taylor als Kind auf eine sehr beachtliche Weise verkörpert.

Zwei Perioden im Leben dieser Großfamilie treten im Film in den Vordergrund: ein früherer Sommer, in dem es vor allem um das schwierige Verhältnis zwischen dem zarten, heranreifenden, verunsicherten Jungen Michael und seinem cholerischen, kleinlichen, unnachgiebigen, ja fast grausamen Vater Charles sowie um dessen Verbindung zu Lisa geht.

Und eine spätere Zeit, da sie alle einander besuchen und ein Fest feiern wollen und dabei Lisa während eines Streits mit ihrem Mann durch einen indirekt von Christopher verursachten Autounfall tragisch ums Leben kommt. 

Jetzt muss alles aufgearbeitet werden: Charles’ charakterliches Defizit; die alles überschattende Trauer um Lisa; die noch immer belastete Beziehung zwischen Michael und seinem Vater; die Drogensucht Kellys und die dadurch bedingte Gefährdung ihrer Ehe mit Michael.

Jane vor allem ist es, die durch ihr beschwichtigendes, treu sorgendes und ausgleichendes Wesen die Dinge in der Balance zu halten versucht. Und trotz allen Schmerzes beginnen sich gegen Ende des Films die Dinge einzurenken – auch wenn eine etwas ausführlichere Darstellung dieser Phase gemessen an den übrigen Handlungsteilen dem Streifen gut getan hätte.

Einleuchtend und ziemlich realistisch werden diese Menschen, ihre persönlichen Bedingungen und Empfindungen, ihre Verbindung untereinander, ihre Schwächen und ihr Gutes, ihre Handlungen und Versäumnisse geschildert. Ein eindringliches amerikanisches, auch in der Ausstattung gelungenes Kleinstadt-Lebensbild, wohl eines unter vielen, aber eines, das die Tiefen und Höhen des Lebens durchaus zeigt, wie sie sein können.

Qualitativ angehoben und verfeinert wird die Präsentation dieses Regieerstlings von Dennis Lee, im diesjährigen Berlinale-Wettbewerb außer Konkurrenz gezeigt, durch das subtile Spiel der Hauptdarsteller: Willem Dafoe, Emily Watson, Julia Roberts, Ryan Reynolds, Carrie-Anne Moss – viel mehr kann man nicht verlangen.

Thomas Engel