Das letzte Mahl

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Gemeinsam mit befreundeten Filmemachern hat sich Regisseur Florian Frerichs einer Mammutaufgabe angenommen: In ihrem streng limitiert im Kino erscheinenden Kammerspiel-Drama „Das letzte Mahl“ erzählen sie aus einer Nacht kurz nach der Machtergreifung Adolf Hitlers. Dabei schüren sie explizit Parallelen zur aktuellen politischen Witterung in Deutschland und hoffen auf eine zahlreiche Kinoauswertung, die durch Filmpaten ermöglicht werden soll.

Webseite: www.facebook.com/dasmahl/

Deutschland 2018
Regie: Florian Frerichs
Darsteller: Bruno Eyron, Michael Degen, Charles Brauer, Sharon Brauner, Patrick Mölleken, Bela B. Felsenheimer, Sandra von Ruffin, Judith Hoersch, Adrian Topol, Daphna Rosenthal, Mira Elisa Goeres und Werner Daehn
Länge: 80 Minuten
Verleih: Apollo Film
Kinostart: 30. Januar 2019 (einmalig)

FILMKRITIK:

Es ist der Tag von Hitlers Machtergreifung. Es dauert nicht mehr lange und Deutschland steht das düsterste Kapitel der eigenen Geschichte bevor. Am Abend versammelt sich die jüdische Familie Glickstein zahlreich zum Dinner. Drei Gänge wird es geben. Und während jeden Ganges tun sich neue, überraschende Gräben zwischen den Familienmitgliedern auf, die sich durch die politische Situation in den vergangenen Wochen gefestigt haben. Die neunzehnjährige Leah (Mia Elisa Goeres) hat zunehmend Angst vor dem, was in ihrem Land passiert und möchte nach Palästina flüchten, eh es zu spät ist. Ganz anders ihr nur ein Jahr jüngerer Bruder Michael (Patrick Mölleken), der mit seinem Vater Aaron (Bruno Eyron) aneinander gerät, als dieser ihm mitteilt, dass er Sympathien für die Leute hegt, die schon in wenigen Stunden mit Fackeln bewaffnet durch die Straßen ziehen und jüdische Geschäfte zerstören wollen. Gemeinsam können er und seine Frau Rebekka (Sharon Brauner) nur zusehen, wie sich nicht nur ihre eigenen Kinder von ihnen entfremden, sondern schon bald ein ganzes Land…
 
Das Veröffentlichungsprozedere des deutschen Independent-Dramas „Das letzte Mahl“ mutet zunächst einmal wie ein Fluch an, erweist sich nach mehrmaligem Nachdenken aber schnell als Segen: Der Film, der von ambitionierten Produzenten und Schauspielern verwirklicht wurde, denen die Sache – also das Aufklären über das, was am rechten Rand der deutschen Politik aktuell passiert – genauso wichtig war, wie Regisseur und Co-Drehbuchautor Florian Frerichs, kommt lediglich an einem einzigen Tag in die Kinos: Am 30. Januar 2019. Für weitere Präsentationen in öffentlichen Kinos zeichnen Filmpaten verantwortlich; also Sponsoren, die bereit sind, die Aufführung des Films zu bezahlen, um ihn dafür einer ausgewählten Zuschauergruppe wie beispielsweise Schulen zugänglich zu machen. Damit bekommen zwar von Anfang an nur wenig Leute die Möglichkeit, „Das letzte Mahl“ regulär im Kino zu sehen. Gleichzeitig müssen die Macher keine leeren Säle fürchten. Wer eine Vorstellung ermöglicht, bringt das Publikum in der Regel direkt mit.
 
Die Macher von „Das letzte Mahl“ haben also einen Plan: Ihr Film soll aufklären und im besten Fall präventiv wirken. Natürlich: Idealerweise kommen die Besucher erhellter aus dem Kino, als sie vorher reingegangen sind. Ob in ihren Denkmustern festgefahrene Idioten sich von einem einzelnen Film in ihrer Ansicht erschüttert sehen werden, zweifeln wir trotzdem stark an. Aber darum geht es nicht. Vor allem deshalb, weil man den Verantwortlichen nicht vorwerfen kann, es nicht versucht zu haben. Auch wenn sich das vorwiegend an nur einem einzelnen Esstisch abspielende Dialogdrama zeitweise anschaut wie ein Theaterstück, verfehlt das ausdrucksstarke Skript (Florian Frerichs und Stephan Warnatsch) seine Wirkung nicht. „Das letzte Mahl“ geht mit den zu damaliger Zeit vorherrschenden Zuständen deutlich ins Gericht. Und es mag zwar ein wenig konstruiert werden, dass sich an diesem Dinnertisch von jeder Meinung exakt ein Repräsentant wiederfindet, doch letztlich geht es hier ja nicht um das Schaffen größtmöglicher Plausibilität, sondern um eine Direktheit, die man sich gerade im Rahmen eines solch geradlinigen Projekts erlauben kann (und muss!), um die anvisierte Wirkung nicht zu verfehlen. „Das letzte Mahl“ schaut man nicht aus Freude am Kino, Spaß an spektakulären Schauwerten oder bahnbrechenden Schauspielleistungen, sondern weil einem die Botschaft am Herzen liegt, sie vielleicht als Filmpate sogar anderen zugänglich machen möchte, weil man all diese Worte selbst nicht findet.
 
Im Anbetracht der noblen Intention, die sich hinter „Das letzte Mahl“ verbirgt, fallen gewisse Schwachpunkte direkt weniger ins Gewicht. Die Darstellerinnen und Darsteller agieren gerade in der Anfangsphase ausladend, die Gesten sind groß, das Gesagte oft so überdeutlich formuliert, als müsse der Text auch noch die hintersten Reihen eines Theaters erreichen. Hinzu kommt, dass die Dialoge abseits ihres aufklärerischen Werts nur bedingt authentisch sind und man über die Figuren nur gerade so viel erfährt, dass man die von ihnen jeweils vertretene Meinung halbwegs einordnen kann. Damit macht auch Niemand eine Entwicklung durch – doch genau an diesem Punkt trifft „Das letzte Mahl“ ins Schwarze. Florian Frerichs erzählt in seinem Film keine klassische Geschichte, es gibt keine handelsübliche Dramaturgie, kein Happy End oder sonst irgendwas, womit man sich in die Fiktionalität dieses Szenarios hineindenken kann. „Das letzte Mahl“ ist direkte Konfrontation mit einem Zustand – und wie sehr dieser Zustand in den Dreißigerjahren mit dem jetzigen in Deutschland zusammenhängt, wird einem immer wieder auf erschreckende Weise vor Augen geführt, wenn man ebenjene schließt und in dem Moment nicht weiß: Ist das noch damals oder schon heute?
 
Antje Wessels