Die Hölle – Inferno

Zum Vergrößern klicken

Stefan Ruzowitzkys Thriller um eine Frau mit Vergangenheit, die von einem Serienmörder verfolgt wird, spielt in Wien, ist aber alles andere als beschaulich, sondern ein actionreiches, düsteres Drama. Violetta Schurawlow spielt mit beeindruckender Entschlossenheit die taffe Taxifahrerin Özge, die Zeugin eines Mordes wird: eine Frau irgendwo zwischen Uma Thurmann in „Kill Bill“ und Bogart, die es mit jedem Kerl aufnehmen kann. Das ist engagiert und spannend, aber ebenso nervenzerfetzend wie brutal und absolut nichts für schwache Nerven!

Webseite: splendid-film.de

Österreich/Deutschland 2016
Regie: Stefan Ruzowitzky
Darsteller: Violetta Schurawlow, Tobias Moretti, Sammy Sheik, Friedrich von Thun, Robert Palfrader, Stefan Pohl, Verena Altenberger, Nursel Köse
Länge: 100 Minuten
Verleih: Splendid Filmverleih
Kinostart: 19.01.2017

FILMKRITIK:

Vielleicht eine gewagte These: Käme dieser Film nicht aus Österreich, sondern aus Frankreich, England oder USA, dann wäre der Erfolg beinahe vorprogrammiert. Doch vermutlich wird es der perfekte, kleine Thriller schwerer haben. Kein Wunder, denn Autor Martin Ambrosch und Regisseur Stefan Ruzowitzky („Anatomie“, „Die Fälscher“) wagen sich auf sehr dünnes Eis: Ihre außergewöhnliche Geschichte kreist um eine Frau, die Probleme mit Gewalt löst. Die einsame Heldin ist eine türkischstämmige Wiener Taxifahrerin. Ihre einzige Freizeitbeschäftigung ist das Thaiboxen, wobei sie mit Vorliebe Männer zusammenschlägt, die ihr dumm kommen. Sie lebt allein und macht ihren Job – sie fährt nachts Taxi, so wortkarg wie diskret, mit unbewegter Miene und stets auf der Hut. Als sie Zeugin eines bestialischen Mordes wird, erfährt sie schnell, dass sie selbst nicht mehr sicher ist, denn der Mörder hat bemerkt, dass er aus ihrer Wohnung gesehen wurde. Özge wird zur Gejagten und sucht Unterstützung bei der Polizei. Doch der schlecht gelaunte Kommissar Steiner glaubt Özge erst, als ihre beste Freundin Ranya getötet wird, weil der Mörder sie für Özge hält. Für Trauer hat Özge keine Zeit, denn nun muss sie sich auch noch um Ranyas Töchterchen Ada kümmern. Steiner hilft ihr schließlich, doch generell kann Özge nur sehr schlecht Unterstützung annehmen. Und aus der Gejagten wird langsam eine Jägerin.
 
Die schweigsame und ernste Özge will nie wieder Opfer sein. Das wird sehr schnell klar, ebenso die Ursachen für Özges extremes Verhältnis zur Gewalt, die in ihrer Vergangenheit liegen. Der Autor Martin Ambrosch macht aus Özge eine Heldin mit vielen Geheimnissen, die nach und nach gelüftet, aber glücklicherweise nicht alle erklärt werden. Dabei bedient er sich gelegentlich einer etwas holzhammerigen Psychologie, die dennoch stimmig und vor allem stimmungsvoll bleibt. Seine Hauptdarstellerin ist eine Wienerin mit Migrationshintergrund, den sie weder für sich selbst noch für ihre Umgebung loswerden kann. Ihr Wien ist eine kalte, feindselige Stadt, in der die Grenzen zwischen oben und unten klar gesteckt sind, und Özge lebt ganz unten, dort wo das Leben hart und freudlos ist. Nur selten gibt es was zu lachen, aber wenn der coolen Özge tatsächlich so etwas Ähnliches wie ein Lächeln über die Lippen huscht, dann ist das wie ein kurzer Sonnenstrahl, der im nächsten Moment wieder dem Schatten weicht.
 
In seiner ganzen Konstruktion und Stimmung erinnert der Film an skandinavische Thriller: das düstere Setting, die brutalen Gewaltszenen, der lakonische Humor, die finsteren Geheimnisse der Vergangenheit bis hin zum desillusionierten, mürrischen Ermittler und seinem privaten Problem. Hier ist es Steiners dementer Vater (großartig: Friedrich von Thun), der von seinem Sohn gepflegt und versorgt wird. Tobias Moretti spielt den Kommissar als gut gekleideten, schlecht gelaunten Teilzeit-Macho, der nicht leicht zu beeindrucken ist und seine soften Seiten sorgsam zu verstecken sucht. Violetta Schurawlow spielt die Özge so kühl und hart wie alle Helden der Schwarzen Serie zusammen. Aber sie ist nicht nur die weibliche Ausgabe eines Chandler-Helden, sondern sie hat auch einiges von Uma Thurman in „Kill Bill“, die grandiose Körperbeherrschung zum Beispiel und die Kompromisslosigkeit ihres Handelns. Doch Violetta Schurawlow ist noch mehr: Sie ist wie ein Vulkan, der auf seinen Ausbruch lauert, absolut unberechenbar und immer für eine Überraschung gut.
 
Wie es sich gehört, ist die Lösung des Kriminalfalles um den psychopathischen Serienmörder eher nebensächlich. Der Weg dorthin ist das Ziel, und Stefan Ruzowitzky gelingt es auch dank der Bildgestaltung seines Stammkameramannes Benedict Neuenfels, sein anspruchsvolles Filmdrama mit hammerharter Action zu verknüpfen, mit Verfolgungsjagden und Kampfszenen, die perfekt choreographiert sind und zeigen, dass hier nicht nur mit Aufwand, sondern auch mit Sorgfalt gearbeitet wurde. Das Ergebnis ist ein harter, düsterer Thriller, ein packendes – und zupackendes! – gelegentlich wirklich ungemütliches Kinoerlebnis mit kleinen Lichtblicken.
 
Gaby Sikorski