Die letzte Sau

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Ein Hauch von melancholischer Anarchie weht durch dieses eigenwillige Roadmovie, gedreht im Nördlinger Ries. Die satirische Komödie um einen Bauern, der, schwer vom Schicksal und der arroganten Macht der Agrarindustrie gebeutelt, rebelliert und unverhofft eine Revolution auslöst, kommt ohne Moralkeule aus. Nach seinem gefeierten Debütfilm „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ feiert Regisseur Aron Lehmann zugleich mit den Abenteuern seines modernen, schwäbelnden Robin Hood gewieft das filmische Outlaw-Genre.

Webseite: www.drei-freunde.de

Deutschland 2016
Regie: Aron Lehmann
Drehbuch: Stephan Irmscher, Aron Lehmann
Darsteller: Rosalie Thomass, Christoph Maria Herbst, Golo Euler, Arnd Schimkat, Thorsten Merten, Daniel Zillmann, Herbert Knaup.
Kamera: Cristian Pirjol
Länge:  86 Minuten
Verleih: drei-Freunde Filmverleih
Kinostart: 29.9.2016

FILMKRITIK:

Bauer Huber (Golo Euler) hat alles verloren. Mit seiner letzten verbliebenen Sau und einem Gewehr zieht er durchs Land und verbreitet Unruhe. Er ist einer der vielen, die unter die Räder der globalen Marktwirtschaft gekommen ist. Denn die paar Säue auf seinen von den Eltern geerbten Hof können längst keinen Stich mehr machen gegen die profitgierigen Fleischfabriken. Angesichts der Agrarindustrie ist er machtlos. Sein Spezl, der Metzger Willi (Hans Josef Braun), ist gegen die Großschlachtereien genauso hilflos. Im Akkord überzüchtete Schweine zu schlachten, kommt für ihn nicht in Frage.
 
Aus dem alten Koffer auf dem Speicher holt Huber die Tracht des Vaters, den blauen, leinernen Rieser Kittel. Dieses „Staubhemd“ oder „Blohemad“, trugen die Männer bis in die 1950-er Jahre ganz selbstverständlich in der Gegend.  Es war die Alltagskleidung, reichte fast bis zu den Knien und hielt damit Schmutz ab. Dazu setzt er das dazugehörige „Troddelkäpple“, eine flache Kappe mit einer Quaste dran, auf. Mit seinem alten Moped, im Seitenwagen seine letzte Sau, fährt er los ins Nirgendwo.
 
Unbewusst treibt es ihn Richtung Norden. Nach Brandenburg. Dort wo Brigit (Rosalie Thomass) vom reichen Nachbarhof die Großmästerei ihres Vaters übernehmen musste. Die Birgit ist die große Liebe des wortkargen Rebellen. Doch auf dem Weg dorthin, erlebt der Zuschauer, wie „da Huber a recht´s Durchanander g´macht hod in der Welt“. Mit seiner unnachahmlichen Stimme warnt Erzähler Herbert Knaup, bekannt als schrulliger Allgäuer Kommissar Kluftinger, aus dem Off.Alsbald trifft „da Huber“ immer mehr Menschen, die merken: es läuft etwas schief. Als Outlaw zieht er umher, die Leute aufzurütteln
Seine Botschaft: „So got´s net weida!“, macht ihn zum Symbol für Revolution und Freiheit.
 
Auf der Landstraße jagt ein Imker (Thorsten Merten) seinem Bienenschwarm hinterher. Die hochgiftigen Spritzmittel auf den Feldern haben die Tiere verrückt gemacht. Huber hilft dem ehemaligen Investmentbanker. Zusammen mischen sie eine Grillparty affektierter Neureicher auf ihrem luxuriösen abgeschotteten Seegrundstück auf. Deren eingezäunte Villa versperrt ihnen den Weg zum Wasser. Denn schließlich verspricht ein bayerisches Grundrecht, das so alt ist wie die Bayerische Verfassung selbst, dass Seen, Berge und Wälder für jedermann zugänglich sein müssen. Aus einem parkenden Tiertransporter befreit Huber danach qualvoll eingesperrte Schweine.
  
Das eigenwillig, schwäbische Roadmovie gegen Großkapital und Agrarindustrieverblüfft mit absurder Situationskomik. Mit schier traumwandlerischer Sicherheit gelingt es der satirischen Heimattragikomödie, trotz gefährlicher Gratwanderung zwischen Klischees über provinzielle Deftigkeit, nicht respektlos zu werden. Fernab von Volkstümelei, garniert mit dem Soundtrack der Polit-Rockband „Ton, Steine, Scherben“ aus den antiautoritären Gründerjahren der Republik und deren unvergesslich aufrichtig-radikalen Galionsfigur Rio Reiser, entsteht ein schlüssiges Anarcho-Märchen mit dem Regisseur Aron Lehmann zugleich das filmische Outlaw-Genre feiert.
 
Luitgard Koch