Fieber

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Albtraumhaftes und Reales, Traum und Wirklichkeit verschmelzen in „Fieber“, dem neuen Film der Österreicherin Regisseurin und Kamerafrau Elfi Mikesch („Malina“). Tatort-Kommissarin Eva Mattes spielt die Hauptrolle in diesem handlungsarmen, reduzierten Drama um eine Frau, die sich auf die Spuren des Vaters begibt. Dieser hinterließ ihr als Mädchen unzählige Bilder aus seiner Zeit bei der Fremdenlegion, mit deren Hilfe sie einst in Traumwelten flüchtete. Wer sich ganz auf „Fieber“ einlässt und ein Faible für Surreales hat, den wird der Film nicht enttäuschen. Zumal Regisseurin Mikesch die beiden Kunstformen „Fotografie“ und „Film“ geradezu meisterhaft miteinander verknüpft.

Webseite: www.amourfoufilm.com/film/fieber/

Luxemburg, Österreich 2014
Regie: Elfi Mikesch
Drehbuch: Elfi Mikesch
Darsteller: Eva Mattes, Martin Wuttke, Nicole Max,
Sascha Ley, Luc Feit
Länge: 87 Minuten
Verleih: Barnsteiner Film
Kinostart: 11. August 2016
 

FILMKRITIK:

Gemeinsam mit ihren Eltern lebt die kleine Franzi (Carolina Luzia Cardoso) im österreichischen Dorf Judenburg. Das Verhältnis zu ihnen (Nicole Max, Martin Wuttke) ist kompliziert, vor allem der unter plötzlichen Fieberschüben leidende Vater ist unberechenbar. Unter diesen Symptomen leidet er seit seiner Zeit als Fremdenlegionär in Nordafrika. Von den Kriegen dort brachte er viele Fotos mit, die Franzi nutzt, um der Realität zu entfliehen. Oft schaut sie sich die Bilder an, denkt über deren Entstehung nach und was die jeweiligen Situationen aus ihrem Vater gemacht haben. Jahre später: Franziska ist mittlerweile eine erfolgreiche Fotografin, die Geschichte ihres Vaters und dessen nie verarbeitete Erlebnisse in Tunesien und Algerien, beschäftigen sie aber noch immer. Sie begibt sich auf Spurensuche, die sie von Graz in die serbische Metropole Novi Sad führt.

„Fieber“ ist der neue Film der österreichischen Regisseurin Elfi Mikesch, die hier eigene Kindheitserlebnisse verarbeitet. Sie selbst stammt aus Judenburg, war früher als Fotografin tätig und auch sie fragte sich viele Jahre, ob ihr eigener Vater in mögliche Kriegsverbrechen verstrickt war. Ab den 80er-Jahren entwickelte sich Mikesch zur gefragten Experimental-filmerin, daneben realisierte sie Dokus, und fungierte als Kamerafrau bei Filmen von Rosa von Praunheim oder Monika Treut. Die weibliche Hauptrolle besetzte Mikesch mit Eva Mattes („Stroszek“, „Woyzeck“ u.a.), einer der wichtigsten Darstellerinnen des Neuen Deutschen Films. Mattes zählt nicht nur zu den profilierten Bühnenschauspielerinnen hierzulande, sondern ist vielen TV-Zuschauer vor allem durch ihre Rolle als Tatort-Kommissarin Klara Blum bekannt.

„Fieber“ ist ein schwelgerischer, mit einer mystischen und oft surrealen Atmosphäre geschmückter Film, in dem eigentlich nicht allzu viel passiert. Im Film gibt es zwei Zeitebenen, die kunstvoll miteinander verwoben und  ineinander, teils verschachtelt, angeordnet sind. Die eine Ebene zeigt die junge Franzi als 12-jährige, wie sie unter den unkontrollierten Gefühlsausbrüchen des Vaters leidet. Die Zweite hingegen zeigt eine erwachsene, gestandene Frau, die die Geister der Vergangenheit noch immer nicht abgeschüttelt hat und sich deshalb auf eine Reise zurück zu den Wurzeln begibt. Vielmehr passiert eigentlich nicht, die Handlung ist einfach und klar.

Doch wird die Hauptfigur – die junge wie die ältere – von etwas angetrieben, was den eigentlichen Kern der Story ausmacht: den teils faszinierenden, teils beängstigenden Fotos, die der Vater aus Nordafrika mitgebracht hat. Diese stehen im Zentrum des Films, im Zentrum auch der Gefühlswelt von Franzi. Durch sie kann sie sich in Fantasie- und Gedankenwelten flüchten, der tristen Stimmung zu Hause und der Cholerik des Vaters für kurze Augenblicke entfliehen. Es sind dann auch die traumwandlerischen, atmosphärischen Bilderwelten, in die Franzi mit dem Zuschauer taucht, die einen großen Reiz ausmachen.  Mikesch gelingt die Verquickung dieser beiden Kunstformen, Film und Fotografie, höchst elegant und mitreißend. Mal zeigt sie die Fotos groß im Bild, mal sieht man die kleine Franzi von oben in ihrem Zimmer liegend, wie sie sich in den geheimnisvollen Bildern verliert.

Diese zeigen Exotisches und traumhaft Schönes, aber auch Verstörendes und Gruseliges: durch den heißen Wüstensand Tunesiens patrouillierende, in orientalische Uniformen gehüllte Legionäre, die Pracht und Weite der afrikanischen Steppe, wilde Tiere aber – in Form von abgetrennten Schädeln, am Galgen baumelnden Menschen oder Leichenbergen – eben auch den scheinbar alltäglichen Kriegshorror und das allgegenwärtige Sterben. Diese verstörenden, erschreckenden Motive sind es, die bei Franzi die Fragen aufwerfen, ob der eigene Vater selbst zum Mörder wurde und an möglichen Verbrechen beteiligt war. Dies ist der Grund, warum sie sich als reife Frau – mit Zurückhaltung aber charismatisch und mit stolzer Anmut von Eva Mattes verkörpert – auf eine Reise zurück in die Geschichte wagt.

Albtraumhaftes und Reales, Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen in „Fieber“ zudem immer wieder in Form surrealer Momente und unwirklicher Ereignisse bzw. Szenen: da ist der androgyne, auf Franzi scheinbar anziehend wirkende junge Mann im Zug oder eine in den 50er-Jahren in der Wohnung nebenan lebende Französin. Mit ihrer exotischen Aura, der vornehmen Sprache und den roten Haaren wirkt sie, als sei sie direkt einem Cabaret oder einer Nummernrevue entsprungen, verschwindet aber eines Tages spurlos. Oft weiß man nicht, was Wirklichkeit und was Einbildung ist. Dies stiftet Verwirrung, sorgt aber auch dafür, dass man sich dem geheimnisvoll-mystischen Sog auf der Leinwand nur schwer entziehen kann.

Björn Schneider