Fridas Sommer

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Das feinfühlige, stark autobiografisch gefärbte Drama „Fridas Sommer“ kehrt auf behutsame Weise das fragile Seelenleben eines Mädchens nach außen. Ein Mädchen, das eines Tages aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen und Teil einer anderen Familie wird. Mit nachhaltigem Gespür folgt Regie-Debütantin Carla Simón der kleinen Frida bei ihrem Versuch, ihren Platz in der neuen Umgebung abseits der Heimat zu finden. Ein ergreifender, sehr sensibel umgesetzter Film, der die Geschehnisse aus kindlichem Blickwinkel schildert.

Webseite: www.grandfilm.de/fridas-sommer/

Spanien 2016
Regie & Drehbuch: Carla Simón
Darsteller: Laia Artigas, Paula Robles, Bruno Cusí, David Verdaguer, Fermi Reixacha
Länge: 96 Minuten
Kinostart: 26. Juli 2018
Verleih: Grandfilm

FILMKRITIK:

Spanien 1993: in Barcelona ist es Sommer, doch für die sechsjährige Frida (Laia Artigas) ist es eine traurige Zeit. Ihre Mutter ist erst kürzlich gestorben, ihren Vater hat sie schon vor längerem verloren. Jetzt muss sich das Mädchen fernab der Heimat auch noch an ein neues Zuhause gewöhnen. Denn die Familie ihres Onkels holt sie zu sich aufs Land. Das Dasein in der Ferne und die Umstellung auf das Leben in einer fremden Familie, fallen der Sechsjährigen alles andere als leicht. Erst langsam kann sie sich etwas öffnen, was auch daran liegt, da Frida immer mehr Zeit mir ihrer Cousine Anna (Paula Robles) verbringt. Doch obwohl sich Frida bei ihrem Onkel nun immer wohler fühlt, bleibt Ihr Verhalten unvorhersehbar und launisch. Wird sie sich je voll und ganz heimisch fühlen?

Das überwiegend in der katalanischen Provinz  Girona gedrehte Drama ist der Regie-Erstling von Carla Simón, die auch das Drehbuch verfasste. Zuvor inszenierte sie bereits vier Kurzfilme. „Fridas Sommer“ erlebte seine Premiere auf der Berlinale 2017 und gewann dort den Großen Preis der Internationalen Jugend-Jury. Auch auf anderen Filmfestivals wurde die spanische Produktion ausgezeichnet, darunter bei den Filmfestspielen in Istanbul, Mumbai und Odessa.

„Entfremdung“, „Identität“, „Tod“ und „Krankheit“ – das sind die Kernthemen, denen sich Filmemacherin Simón mit außergewöhnlichem Einfühlungsvermögen und viel Geduld widmet. Dafür blickt sie in die zerbrechliche Seele der jungen Hauptfigur, deren innere Zerrissenheit in klug und gefühlvoll beobachteten Szenen nach außen gekehrt wird. Diese Beobachtungen setzt Simón mit Hilfe eines dokumentarischen Ansatzes um. Mitten ins Geschehen wird der Zuschauer etwa durch die Handkamera manövriert, die Frida stets dicht auf den Fersen ist. So ist der Betrachter hautnah dabei, wenn sie sich in ihrer neuen Welt zurechtzufinden versucht. Und mit Anna im Garten herumtobt, die idyllischen Hänge und den umgebenden Wald erkundet oder gedankenverloren aus dem  Fenster blickt.

In einer Szene im Auto ist die Kamera über anderthalb Minuten lang ununterbrochen auf Fridas Gesicht gerichtet und macht nichts weiter, als sie still zu beobachten. Ein besonderer Moment der Sanftheit und Ruhe. Kurz darauf kommt es zu einem plötzlichen Gefühlsausbruch, der Fridas brüchiges Gefühlsleben offenlegt. In diesen Augenblicken beweist Simón ihr nuanciertes Gespür für die Befindlichkeiten der zutiefst aufgewühlten Protagonistin. Bei Frida liegen Trauer und Glücksgefühle immer sehr nah beieinander. Das macht ihre Stimmungen auch für ihre neue Familie nur schwer kalkulierbar.

Unterschwellig und zwischen den Zeilen thematisiert der Film darüber hinaus die Aids-Krise in Spanien. Anfang der 90er-Jahre befand sie sich auf dem Höhepunkt und betraf längst nicht mehr nur sog. „Randgruppen“. Gerade in Spanien, einem Land, in dem sich bis Mitte der 90er-Jahre rund 50 000 Menschen mit HIV infizierten. Ein Großteil von ihnen überlebte die Krankheit nicht und kein anderes Land in der EU ist bis heute von der Epidemie stärker betroffen. Zwar wird im Film nie direkt ausgesprochen, wieso sich Frida Untersuchungen unterziehen muss und Medikamente verabreicht bekommt. Doch ein Blick in die Biographie von Carla Simón offenbart: Sie selbst verlor ihre Eltern durch die Immunschwäche. Ihre Mutter starb im Sommer 1993. „Fridas Sommer“ schildert letztlich also ihr eigenes, bewegendes Schicksal und damit ihre Kindheit als Aids-Waise.

Björn Schneider