Herbert

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Ganz tief ins emotionale Elend blickt Thomas Stuber mit seinem Regiedebüt „Herbert“, die schonungslose Studie eines alternden Boxers, der mit Anfang 60 erfährt, dass er an einer unheilbaren Nervenkrankheit leidet. Um sein Leben in Ordnung zu bringen ist es viel zu spät, zumal Herbert zu stolz und eigenbrötlerisch ist, um Nähe zuzulassen. Ein rohes Drama, harsch, erbarmungslos und stark gespielt.

Webseite: www.wildbunch-germany.de

Deutschland 2015
Regie: Thomas Stuber
Buch: Clemens Meyer, Thomas Stuber
Darsteller: Peter Kurth, Lina Wendel, Lena Lauzemis, Edin Hasanovic, Peter Schneider, Manfred Möck
Länge: 109 Minuten
Verleih: Wild Bunch, Vertrieb: Central
Kinostart: 17. März 2016
 

FILMKRITIK:

Anfang 60 ist der ehemalige Boxer Herbert (Peter Kurth) und verdient sein Geld immer noch mit seinen Fäusten. Als Geldeintreiber reicht meist seine massige, kahlköpfige, mit Tattoos übersäte Gestalt, um die Gläubiger zum Zahlen zu bringen, wenn nicht, ist Herbert wenig zimperlich. Ähnlich agiert er auch in seinem Privatleben, lässt Marlene (Lina Wendel) nur an sich ran, wenn er Sex will und verbringt ansonsten seine Zeit in der Trainingshalle, wo er den jungen Boxer Eddy (Edin Hasanovic) protegiert und als quasi Ersatzsohn betrachtet.

Doch von einem Moment zum nächsten ändert sich Herberts Leben: Nach einem Sturz in der Dusche dauert es zwar etwas, bis er sich endlich aufrafft doch einen Arzt zu besuchen. Der gibt Herbert einen Schnaps und teilt ihm dann die schlimme Nachricht mit: ALS, die degenerative Nervenkrankheit, an der etwa Stephen Hawkings leidet und Jörg Immendorf starb. Nur schwer findet sich der Einzelgänger mit seinem Schicksal ab, die bemitleidenden Blicke seiner Kumpel kann er ebenso wenig ertragen, wie die Notwendigkeit eines Krankenpflegers. Immer mehr zieht er sich zurück, nur zu seiner Tochter Sandra (Lena Lauzemis) und deren Tochter versucht er Kontakt aufzunehmen, doch die hat kein Interesse ihren ihr längst entfremdeten Vater zu sehen.

Es überrascht wenig, dass der in Leipzig lebende Autor Clemens Meyer zusammen mit Regisseur Thomas Stuber das Drehbuch zu „Herbert“ geschrieben hat. Schon als Autor von „Als wir träumten“, letztes Jahr von Andreas Dresen verfilmt, bewies Meyer viel Gespür für Subkulturen, Männerfreundschaften, für das Proletariat. Seit langem lebt Meyer in Leipzig und dort ist auch „Herbert“ angesiedelt, in tristen Kaschemmen und Trainingshallen, in Hinterhöfen und schlecht beleuchteten Gassen. Manchmal ist das grenzwertig dick aufgetragen, hat Stuber ein wenig zu viel Vergnügen daran, den Verfall, das Heruntergekommene der Stadt und seiner Hauptfigur in den Mittelpunkt zu rücken.

Doch jeder Anschein des Elends wird durch die sensible, emotionale Darstellung von Peter Kurth abgefedert. Äußerlich passt er zwar absolut in seine Umgebung, doch immer mehr lässt Kurth die verletzliche Seite seiner Figur durchscheinen. Dass die Versuche, sich auch nur ein klein wenig zu ändern, ein wenig Nähe zuzulassen, aus unterschiedlichen Gründen scheitern, macht „Herbert“ zwar einerseits zu einem so schonungslosen Film, der aber andererseits auch realistisch und unsentimental ist. Während in einem vergleichbaren Hollywoodfilm (und in seiner Struktur und Erzählweise erinnert „Herbert“ deutlich an vergleichbare Oscar-Filme) der Hauptfigur am Ende ihrer Sinnsuche eine Katharsis gegönnt wäre, lassen Stuber und Meyer ihren Anti-Helden nicht so leicht davonkommen. Erst die Konsequenz, mit der „Herbert“ zu Ende erzählt ist, macht das Drama um einen einsamen Mann zu so einem starken, wenn auch oft schwer zu ertragendem Film.
 
Michael Meyns