Nellys Abenteuer

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Das Jugendabenteuer „Nellys Abenteuer“, Eröffnungsfilm des Kinderfilmfests München, unternimmt den Versuch, einem jungen Publikum die rumänische Kultur zu vermitteln. Auch wenn das auf eine sehr simple und klischeehafte Weise geschieht, ist zumindest das Anliegen aller Ehren wert. Das Roadmovie-Abenteuer führt die 13-jährige Protagonistin quer durchs transsilvanische Hinterland und versucht, ein junges Publikum kurzweilig zu unterhalten und dabei auch für die ungerechte Verteilung von Wohlstand zu sensibilisieren.

Webseite: www.farbfilm-verleih.de

OT: Nellys Abenteuer
Deutschland, Rumänien 2016
Regie: Dominik Wessely
Drehbuch: Uta Kolano, Jens Becker
Darsteller: Flora Thiemann, Julia Richter, Kai Lentrodt, Hagi Lacatus, Mihai Raisa, Marcel Costea, George Pistereanu, Gustav Peter Wöhler
Länge: 90 Min.
Verleih: Farbfilm Verleih
Kinostart: 8. September 2016
 

FILMKRITIK:

Die 13-jährige Nelly (Flora Li Thiemann) steckt mitten in der Pubertät und ist alles andere als begeistert, dass ihre Eltern Anne und Robert (Julia Richter und Kai Lentrodt) den Sommerurlaub im ländlichen Rumänien verbringen wollen, während ihre Freunde an Sandstränden chillen dürfen. Und dann beginnt der Trip nach Siebenbürgen, auch bekannt als Transsilvanien, auch noch mit einer Flugzeugpanne, und Nellys Familie steckt mitten im Nirgendwo fest. Zum Glück nehmen die beiden Rumänen Hokus (Marcel Costea) und Iancu (George Pistereanu) die Familie per Anhalter mit, was aber, wie sich bald herausstellt, kein Zufall ist. Denn wenig später erfährt Nelly, dass ihre Familie jobbedingt bald nach Rumänien umzieht, rennt wütend weg – und gerät in die Fänge von Hokus und Iancu, die sie im Auftrag des deutschen Baulöwen Wagner (Gustav Peter Wöhler) entführen sollen. Nellys Papa will nämlich Windkrafträder in Rumänien bauen, während Wagner ein Staudammprojekt leitet und dafür ganze Dörfer fluten lässt. Die Entführung soll das Windkraftprojekt im Keim ersticken, doch so leicht gibt Nelly nicht auf. Mit Hilfe der beiden Romakinder Roxana (Mihai Raisa) und Tibi (Hagi Lacatus) ergreift sie die Flucht und erlebt ein Abenteuer in der transsilvanischen Einöde.
 
„Nellys Abenteuer“ bemüht sich um Kulturverständigung. Ausgehend von der pubertären Nelly, die Rumänien anfangs als „Scheißland“ bezeichnet, zelebriert das Drehbuch von Jens Becker und Uta Kolano die anschließende Versöhnung des Mädchens mit den Menschen in Siebenbürgen. Der Roma-Junge Tibi, der sich vom Fleck weg in Nelly verknallt, und seine ältere Schwester Roxana spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Als Nelly von ihren Entführern im Roma-Dorf der beiden Kinder untergebracht wird, staunt sie über die ärmlichen Verhältnisse, in denen die Roma leben. Für das ganze Dorf gibt es nur einen einzigen Brunnen mit Trinkwasser und immer mehr der Bewohner packen ihre sieben Sachen, weil die Flutung durch das Staudammprojekt bevorsteht. Schon zuvor war Nelly fassungslos, als von einer bereits gefluteten Siedlung nur noch der Kirchturm aus dem Wasser ragt.
 
Dass die Darstellung der Lebensverhältnisse in Rumänien recht klischeehaft ausfällt, tut der versöhnlichen Botschaft im Rahmen eines Kinderfilms zwar kaum Abbruch, erscheint aber dennoch als arg simplifizierte Bestandsaufnahme: Von den rumänischen Behörden ist nichts zu erwarten, während die Deutschen die Handlung in Schwung halten. Im Roma-Dorf macht man natürlich viel Musik (zum Glück hat Nelly ihre Klarinette dabei), trägt die buntesten Kleider oder raubt Touristen den Geldbeutel, so wie Tibi und Roxana es bei ihrer ersten Begegnung mit Nelly tun. Junge Kinobesucher dürfte der Film dennoch für die ungleichen Lebenswelten sensibilisieren, die sie mit der zugehörigen Webdoku „Nellys Welt“ auf einer interaktiven Reise durch Europa weiter erforschen können.
 
Das Abenteuer inszeniert Dominik Wessely mit hellen, sommerlichen Bildern. Während Nellys Eltern durch das Hinterland düsen, um ihre Tochter zu finden, schlägt sich Nelly mit Hilfe ihrer Freunde auf eigene Faust durch. So entfaltet sich „Nellys Abenteuer“ als Roadmovie mit viel Humor und erinnert bisweilen an einen Western, wenn Nelly und Tibi auf einem Pferd durch dicht bewachsene Wälder oder quer über ein Gebirge reiten. Am Ende findet Nelly Transsilvanien natürlich gar nicht mehr so langweilig wie zuvor und hat viel mehr erlebt als ihre Klassenkameraden im schnöden Pauschalurlaub.
 
Christian Horn