Nur eine Frau

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Ein Mann erschießt eine junge Frau auf offener Straße. Drei Schüsse aus nächster Nähe. Die Kugeln treffen sie ins Gesicht. Die Frau ist seine Schwester. Ein Mord „im Namen der Ehre“. In ihrem aufrüttelnden Drama zeigt Regisseurin Sherry Hormann die Hintergründe dieses realen Frauen-Schicksals im Berlin unserer Tage. Mit ungewöhnlichen Stilmitteln und einer außergewöhnlichen Erzählstruktur gelingt ihr ein authentischer Einblick in diese erschütternde Tragödie. Gleichzeitig ist ihr Film auch eine Hommage an die ungeheure Stärke einer jungen Frau, die im gnadenlosen Patriarchat um Selbstbestimmung kämpft. Zu Recht vertraut Sherry Hormann dabei auf ihre großartige Hauptdarstellerin Almila Bagriacik. Bleibt zu hoffen, dass der Applaus nicht von der falschen, populistischen Seite kommt. Denn Frauenverachtung in verschieden starker Ausprägung bis hin zur Ermordung ist keine Spezialität nur einer Religion oder einer Nationalität sondern Teil eines uralten patriarchalen Herrschaftssystems.

Webseite: www.nureinefrau-derfilm.de

Deutschland 2018
Regie: Sherry Hormann
Darsteller: Amila Bagriacik, Rauand Taleb, Aram Arami, Armin Wahedy, Mehmet Atesci, Meral Perin, Mürtüz Yolcu, Merve Aksoy. Lara Aylin Winkler, Jacob Matschenz, Idil Üner, Lina Wendel.
Länge: 97 Minuten
Verleih: NFP, Vertrieb: Filmwelt
Kinostart: 9. Mai 2019

FILMKRITIK:

Bei der Anprobe ihres Hochzeitkleides drückt Aynur (Almila Bagriacik) ihre Mutter Denja (Maral Perin) verstohlen eine Nadel in die Hand. Irritiert fragt die junge Frau nach dem Grund. Der Beweis ihrer Jungfräulichkeit hilft freilich in der von den Eltern arrangierten Zwangsheirat mit ihrem Cousin in Istanbul wenig. Der Traum in Weiß entwickelt sich zum Alptraum. Ihr Mann schlägt die ehemalige Gymnasiastin aus Kreuzberg grün und blau. Selbst als sie schwanger ist, schützt sie das nicht vor seinen Übergriffen. Aynur schafft es zu fliehen – zurück nach Berlin zu ihrer Familie.

Doch nun beginnt ein neuer Leidensweg. Sie muss büßen. Denn seinen Ehemann zu verlassen bringt Schande über die Familie. Sie darf ihrer Mutter beim Haushalt helfen. Allein aus dem Haus gehen oder gar ihre Schule wieder besuchen darf sie nicht. Auch als ihr Sohn Can zur Welt kommt ändert das nichts. Am Ende landet sie in der Besenkammer. Denn ihr Baby stört im „Mädchenzimmer“ ihrer drei jüngeren Schwestern. Als ihr Bruder Sinan sie nachts sexuell belästigt ist das Maß voll. Mutig sucht Aynur Hilfe beim Jugendamt. Ein erster Schritt, der sie ihren Eltern entfremdet. Damit nimmt die erschütternde Tragödie ihren Lauf.

Die Zerrissenheit junger Migrantinnen zwischen einem selbstbestimmten westlichen Lebensstil und den streng patriarchalen Traditionen ihrer Familie ist seit langem ein Thema. Fern aller Klischees und Vorverurteilungen beleuchtet Regisseurin Sherry Hormann den Konflikt von allen Seiten und macht die Zerrissenheit der Figuren und die fatale Abhängigkeit von patriarchal-religiösem Absolutismus spürbar. Intensiv arbeitet sie die perfide Paradoxie des brutalen Verbrechens „Ehrenmord“ heraus und zeigt auch die juristische schwierige Aufarbeitung des Falls. Für ihren aufwühlenden, dokumentarisch-dichten Gegenwartsfilm mit ungewöhnlichen Stilmitteln und einer außergewöhnlichen Erzählstruktur vertraut sie zu Recht auf ihre großartige Hauptdarstellerin Almila Bagriacik.

Aus dem Off kommentiert die beeindruckende Schauspielerin berührend ihre Leidensgeschichte. Fast wie Stationen eines mittelalterlichen Kreuzwegs werden auf der Leinwand zwischen den Spielfilmszenen ihre angeblichen Verfehlungen gegen den patriarchalen Ehrenkodex aufgelistet. Hintergrund für das aufwühlende Drama ist der „Ehrenmord“ von Berlin an der 23jährigen Hatun Sürücü, der 2005 Schlagzeilen machte. Eine Studie des Bundeskriminalamtes geht von einem Dutzend Tötungsdelikten in Deutschland jährlich aus, die „im Kontext patriarchalisch geprägter Familienverbände“ verübt werden, um Frauen für ihren „westlichen“ Lebenswandel zu bestrafen.

Luitgard Koch