The Lady in the Van

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Der alleinlebende Theaterautor Alan Bennett lässt die in einem Lieferwagen lebenden Miss Shepherd auf seinem Anwesen parken, um ihr Schwierigkeiten mit den Behörden zu ersparen. Was der freundliche Mann nicht ahnt: die Gefälligkeit wird zur Dauereinrichtung. 15 Jahre bleibt die exzentrische Dame in seiner Einfahrt wohnen. Eine Zeitspanne, in der die „Untermieterin“ Bennetts Leben auf  wundersame Weise beeinflusst und ihn zu seinem größten Theatererfolg inspiriert. Regisseur Nicholas Hytner adaptiert Bennetts Bühnenhit „The Lady in the Van“ und lässt auch gleich dessen Bühnenstar Maggie Smith im Film an der Seite von Alex Jennings die Hauptrolle spielen. Erneut ist Maggie Smiths Auftritt ein echtes Ereignis. Obwohl das typische britische Drama um eine schrullige Seniorin und ihren homosexuellen Mentor in erster Linie leise Töne anschlägt, bekommt der Film durch Bennetts pointierte Bonmots und die großartigen Granteleien von Maggie Smith auch einen komischen Touch.

Webseite: www.theladyinthevan.de

GB 2015
Regie: Nicholas Hytner
Darsteller: Maggie Smith, Alex Jennings, Jim Broadbent
Filmlänge: 104 Minuten
Verleih: Sony
Kinostart: 14. April 2016
 

FILMKRITIK:

Es geht durch und durch britisch zu in dem Vorort-Viertel Camden Town im Norden Londons. In den kleinen Bürgerhäuschen der Gloucester Crescent hat sich im Laufe der 1970er Jahre eine linke Künstlerklientel angesiedelt, deren feine Hausfassaden von Erfolg und Wohlstand künden. Mitten in diesem liebevoll gepflegten Künstlerdasein macht sich der hässliche Van von Miss Shepherd wie ein Kulturschock aus. Von den olfaktorischen Unannehmlichkeiten, die der Wageninhalt für feine Nasen bereit hält, ganz zu schweigen. Die grantelnde Dame lebt mit ihrer gesamten Habe in dem abgewrackten Van und bewegt das Fahrzeug nur, um nicht von der Polizei wegen Dauerparkens behelligt zu werden. Als ihr aber dennoch eines Tages der Abtransport droht, glauben sich die Bewohner der Strasse schon von ihrem schrulligen Dauergast befreit. Nur der erst vor kurzem zugezogene Bühnenautor Alan Bennett erweist sich als Spielverderber und gestattet Miss Shepherd aus Mitleid, in seiner Einfahrt zu parken. Dass er dafür von der alten Dame keinen Dank erhält, war ihm bereits vorab klar. Nur dass aus der notdürftigen Übergangslösung ein Dauerzustand wird, erweist sich auch für den freundlichen Autor als unangenehme Überraschung. Zumal Miss Sepherd auch in ihrem neuen Domizil nicht von ihren schrulligen Gewohnheiten abrückt und ihren Gönner des öfteren schamlos ausnutzt.
 
Doch der Dauergast erweist sich im Laufe der Jahre trotz aller Unbill auch als ungeahnte Inspirationsquelle für den Dramatiker. Dass die Camperin im gelben Van so gar nichts von ihrem Leben preisgeben mag und mit unerschütterlichen Willen ihren Alltag durchzieht, weckt die kreative Neugier Bennetts. Er beginnt sich Gedanken über das Leben der alten Frau zu machen und verfasst ohne deren Wissen ihre Memoiren, aus denen nach ihrem Tod sein bisher berühmtestes Theaterstück wird.
Das Stück liefert auf der einen Seite das Porträt einer Exzentrikerin, die ihr großes musikalisches Talent ihrer Liebe zum  Katholizismus opfert. Erzählt aber gleichzeitig davon, wie der Autor mit seinen Identitäten als Alltagsmensch und kreativer Schreiber ringt – im Film dargestellt in der Form des zweifach auftretenden Alex Jennings, der in ständiger Zwiesprache mit sich selber debattiert. Dabei rücken auf leisen Sohlen Themen wie Rücksichtsnahme, Respekt vor dem Leben der Anderen und Achtsamkeit in den Fokus.
 
Bennetts Bild von sich selbst und seiner problematischen gespaltenen Persönlichkeit beginnt sich im selben Maße zu einer Einheit zu formen, wie sich sein Porträt-Puzzle von Miss Shepherd zu einem Ganzen fügt. Die letzten Teile finden sich erst nach ihrem Tod zusammen, wenn Bennett ihren Bruder ausfindig macht.
 
Alex Jennings und Maggie Smith brillieren beide in dieser anrührenden Tragikomödie um zwischenmenschliche Beziehungsmuster. Wobei Maggie Smiths Leistung noch ein wenig heraussticht. Gelingt es ihr doch, die Rolle ohne falsche Sentimentalitäten gradlinig und glaubwürdig durchzuspielen und dabei der mürrischen Miss Shepherd ein menschlich anrührendes Antlitz zu verleihen.
 
Norbert Raffelsiefen