The Sisters Brothers

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Leichen pflastern ihren Weg. Die Brüder Eli und Charlie gelten als große Kaliber im Killer-Kosmos, für ein paar Dollar mehr erledigt das skrupellose Duo für den geheimnisvollen „Commodore“ die tödlichen Aufträge. Ein wichtiger Deal gerät außer Kontrolle, als ihr Kontaktmann zum Konkurrenten mutiert und sich mit einem geplanten Opfer, dem Erfinder einer Wunderformel für Goldgräber, anfreundet. Vor dem großen Showdown stehen noch allerlei Scharmützel sowie Familien-Streitigkeiten für die Revolverhelden an. Mit Hollywood-Stars im Sattel, gibt Venedig-Gewinner Jacques Audiard dem amerikanischen Mythos so lässig wie originell die französischen Sporen. Sein innovatives Western-Alphabet reicht dabei von Antikapitalismus bis Zahnputzbecher.

Webseite: www.wildbunch-germany.de

Frankreich, USA, Spanien, Rumänien, Belgien 2018
Regie: Jacques Audiard
Darsteller: John C. Reilly, Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal, Riz Ahmed
Filmlänge: 121 Minuten
Verleih: Wild Bunch Germany
Kinostart: 7.3.2019

FESTIVALS/PREISE:

Filmfestival Venedig 2018: Silberner Löwe für die Beste Regie

FILMKRITIK:

Wie man das Western-Pferd zu Tode reitet, hat auf der vorigen Berlinale die verkrampfte Groteske „Damsel“ bewiesen, die ein furioses Festival-Fiasko erlebte. Wie man das uralte Genre gekonnt neu sattelt, zeigt Frankreichs regelmäßig preisgekrönter Regisseur Jacques Audiard („Dämonen und Wunder“), der mit 66 Jahren sein Hollywood-Debüt mit Starbesetzung gibt.
 
John C. Reilly und Joaquin Phoenix geben im Wilden Westen anno 1851 die berüchtigten Revolverhelden-Brüder Eli und Charlie, besser bekannt als The Sisters Brothers. Der aufbrausende Charlie bechert bisweilen ein bisschen viel, sein älterer Bruder gibt gern den Grübler. Beide verbindet ein traumatisches Verhältnis zum verstorbenen Vater. Für den mysteriösen „Commodore“ soll das Duo den Chemiker Hermann Kermit Warm (Riz Ahmed) aufspüren, der eine Wunderformel für Goldwäsche gefunden haben will. Auf dessen Suche macht sich gleichfalls John Morris (Jake Gyllenhaal). Eigentlich soll er den Erfinder bis zum Eintreffen der Killer-Brüder festhalten. John jedoch nutzt seinen Vorsprung lieber für ganz eigene Pläne. Beim Plaudern entdecken Jäger und Gejagter ihre Sympathien. „Für mich ist das Gold nur das Sprungbrett, um eine neue Gesellschaft zu gründen, die sich nicht dem Profi widmet“, schwärmt Hermann. Das trifft voll ins Herz des melancholischen Häschers: „Ich bin 35 Jahre alt und mein Leben ist wie ein leerer Zylinder!“. Wie einst in „Brokeback Mountain“, entdeckt Jake Gyllenhaal als sensibler Cowboy abermals die Vorzüge wahrer Männerfreundschaft, die diesmal freilich rein platonisch bleibt.
 
Die Sisters-Brüder machen derweil Zwischenhalt in San Francisco. „Das ist Babylon!“ staunt man nicht schlecht und gönnt sich prompt ein Luxus-Hotel mit warmem Wasser und WC. „Etwas Komfort in unsicheren Zeiten,“ schwärmen die Revolverhelden und genießen die Erfindung des Zähneputzens. Der kleine Streit über die berufliche Zukunft wächst sich zwar zur mittleren Familienkrise aus, dennoch gelingt es dem Duo mit Leichtigkeit, den Chemiker samt seinem neuen Kumpel aufzuspüren und zu überrumpeln. Als die Jäger plötzlich selbst zu Gejagten werden, helfen nur noch vereinte Kräfte gegen die Übermacht der Angreifer. Bleibt abzuwarten, was es mit der geheimnisvollen Wunderformel für die Goldsuche tatsächlich auf sich hat? Und was der mysteriöse Commodore (Gastauftritt Rutger Hauer) zu alledem meint?
 
Bei seinem ersten Hollywood-Ausflug macht es Cannes-Stammgast Jacques Audiard sichtlich Vergnügen, den guten alten Western lässig aufzubürsten. Wortkarge Machos sind von gestern, hier plappern die Protagonisten gern und philosophieren viel. Männer, die traumatisiert auf ihre Väter starren. Die von einer Gesellschaft ohne Gier träumen, in der das Kollektiv sein ganzes Gold in die Erziehung steckt. Die bei Prostituierten einen Korb bekommen „wegen zuviel Zärtlichkeit“. Die neugierig Zahnbürsten ausprobieren. Oder die als knallharte Killer wie kleine Kinder über Ohrfeigen heulen.
 
Spürbaren Spaß hat das Herren-Quartett an seinen Figuren. Phoenix und Gyllenhaal kokettieren genüsslich mit ihrem Coolness-Image, derweil der vielfach zum Nebendarsteller verdammte Reilly (zugleich Produzent) nun als Revolverheld mit Sinnkrise zur Hochform auflaufen und sogar feminine Seiten zeigen darf: Im Western was Neues!
 
Dieter Oßwald

„The Sisters Brothers“ basiert auf dem 2011 veröffentlichten Westernroman von Patrick deWitt. Die Drehbuchadaption schrieb der Regisseur Jacques Audiard gemeinsam mit Thomas Bidegain, mit dem er bereits seine von der Kritik gelobten Dramen „Ein Prophet“ und „Der Geschmack von Rost und Knochen“ verfasste. Herausgekommen ist ein humorvoller, gegen Ende ziemlich bitterer Goldrauschwestern mit einem erlesenen Cast. 2018 erhielt der Genrebeitrag bei den Filmfestspielen in Venedig den Silbernen Löwen für die Beste Regie.
 
Im Amerika des Jahres 1851 läuft die Zeit der Brüder Eli und Charlie Sisters (John C. Reilly, Joaquin Phoenix) langsam aber sicher ab. Recht und Ordnung, das Öl und die Eisenbahn verändern den Westen. Einer der Profiteure der neuen Zeit ist der mächtige „Commodore“ (kaum zu sehen: Rutger Hauer), für den die Sisters-Brüder Auftragsmorde erledigen.
 
Ihr neues Opfer soll der Chemiker Hermann Kermit Warm (Riz Ahmed) sein. Der Mann hat eine Substanz entwickelt, die Flussgold sichtbar machen kann – ein Gamechanger in Zeiten des Goldrauschs. Der Scout Jim Morris (Jake Gyllenhaal) späht Warm aus, während Charlie und Eli den beiden von Oregon aus bis nach Kalifornien hinterher reiten, um den Mord auszuführen. Dabei zweifeln die Outlaws bald nicht nur ihre Mission, sondern auch das große Ganze an.
 
Auch wenn die Sisters-Brüder sehr unterschiedlich ticken, ahnen beide, dass Biographien wie die ihre der Vergangenheit angehören. Nur gehen sie auf jeweils eigene Weise damit um: Der nachdenkliche Eli eruiert die Möglichkeiten für ein neues Leben und träumt davon, sich verheiratet zur Ruhe zu setzen; der trunksüchtige Charlie, der gern und flink seinen Revolver zieht, denkt indes noch in alten Bahnen und will als Gesetzloser Karriere machen, indem er den Platz des Commodore einnimmt. Die Ideen der Männer prallen schließlich auf jene von Hermann Warm, der von einer neuen Gesellschaft ohne Gier träumt. Den Scout Morris konnte Warm bereits von seinem kommunistischen Modell überzeugen, doch wie werden die Sisters-Brüder reagieren, wenn sie ihr Auftragsziel aufgespürt haben?
 
Vom Prinzip her funktioniert die Romanadaption wie ein traditioneller Western, der wie etwa „Butch Cassidy und Sundance Kid“ eine überlange Verfolgungsjagd auf Pferden in Szene setzt. Das Klassische an „The Sisters Brothers“ betonen schon die Inserts mit Ortsangaben in einer ganz charakteristischen, gelb und groß ins Bild gesetzten Westernschrift.
 
Der Vorlagenautor Patrick deWitt und der Autorenfilmer Jacques Audiard versetzen die Story aber mit vielen Extravaganzen und einem feinen ironischen Humor, der die angeschlagene Männlichkeit der Titelfiguren immer wieder offenlegt. Wenn Eli im Schlaf eine Spinne in den Mund krabbelt, die Männer diese neuen Zahnbürsten ausprobieren oder in San Francisco eine Klospülung bewundern, liefert der Film seltene Westernmomente. Zudem geht der anfangs gradlinige Plot dank einiger Wendungen bald unberechenbare Wege.
 
Ein echtes Pfund ist die Besetzung der vier männlichen Hauptrollen mit John C. Reilly, Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal und Riz Ahmed. Nicht nur, weil sie allesamt ausgewiesene Charakterdarsteller sind, sondern vor allem, weil Jacques Audiard die jeweiligen Rollenbiographien der Mimen elegant mitschwingen lässt. Reilly, die gute Seele aus „The Lobster“, und Phoenix, der abgewrackte Berserker aus „A Beautiful Day“, geben vom ersten Bild an eine explosive Mischung ab. Das Zusammenspiel zwischen Gyllenhaal und Ahmed erinnert derweil an ihren gemeinsamen Auftritt im Thriller „Nightcrawler“, in dem der Elends-Paparazzi Gyllenhaal seinen Mitarbeiter Ahmed beim Verbluten filmt. Die Konstellation der beiden ist in „The Sisters Brothers“ ganz ähnlich, mit einem zwielichtigen Gyllenhaal und einem blauäugigen Ahmed. Als die beiden im Wilden Westen aufeinandertreffen, könnten sie die Vorfahren ihrer Figuren aus „Nightcrawler“ sein – passenderweise erwähnen sie im Kennlerngespräch, sich schon mal irgendwo gesehen zu haben.
 
Als fünfter Mann im Bunde schwebt der von Rutger Hauer („Blade Runner“) verkörperte Commodore wie ein Geist über allen Taten und Plänen seiner Handlanger. Es wird viel über ihn geredet, er selbst schweigt aber konsequent und zeigt sich kaum. Als es ihm an den Kragen gehen soll, zieht er sich endgültig aus der Affäre. Eine Chiffre als Bösewicht.
 
Von zwei, drei Ausnahmen abgesehen, kommt trotz der Profession der Sisters-Brüder wenig Action vor. Stattdessen inszeniert Jacques Audiard skurrile Begegnungen, zeigt viele Gespräche oder lässt Morris Tagebuch führen. Der beschwingte Piano-Score von Alexandre Desplat („Shape of Water“) unterstreicht den eigenwilligen Ansatz des Westernfilms, dessen Humor im letzten Drittel erst in bittere Ironie, dann in Versöhnung umschlägt.
 
Christian Horn