Wenn der Vorhang fällt

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Die Musik-Doku „Wenn der Vorhang fällt“ beleuchtet hintergründig und umfassend die Geschichte des erfolgreichsten Musikgenres hierzulande: Deutsch-Rap. Angereichert mit vielen privaten Bekenntnissen, zeichnet der Film die Entwicklung dieser Musikrichtung mit Hilfe zahlreicher Interviews nach. Regisseur Michael Münch gelingt eine emotionale Reise zurück zu den Ursprüngen deutscher Hip-Hop-Kultur. Der Film ist erhellend und lehrreich, auch wenn ihm ein paar Musikbeispiele und Konzert-Szenen mehr gut getan hätten.

Webseite: www.facebook.com/wenndervorhangfaelltfilm/

Deutschland 2016
Regie & Drehbuch: Michael Münch
Darsteller: Afrob, Blumentopf, Fatoni, Max Herre, Moses Pelham, Marteria, Nate 57, Smudo
Länge: 79 Minuten
Verleih: Zorro Film GmbH
Kinostart: 30. März 2017

FILMKRITIK:

Regisseur Michael Münch begibt sich in seinem Erstlingswerk zurück zu den Wurzeln des deutschen Hip-Hop. Von dort aus startet er eine Reise durch die verschiedenen Entwicklungsstadien dieser Musikrichtung. Im Film kommen große Namen der deutschen Rap-Landschaft zu Wort: von Smudo und Max Herre über Afrob, den Stieber Twins und MC Rene bis hin zum Gangsta-Rapper Sido. Sie erzählen von ihren ganz persönlichen Erfahrungen mit einem Genre, das es Anfang der 90er-Jahre von den verstaubten Kellern schäbiger Underground-Clubs bis nach ganz oben in die Charts schaffte. Was macht deutschen Hip-Hop aus und wie ist möglich, dass er heute so erfolgreich ist wie nie zuvor? Zwei Fragen, denen Münch u.a. auf den Grund geht. 

Viel Zeit verging während der Produktion des Films. Regie-Debütant Münch arbeitete insgesamt drei Jahre an seiner Dokumentation. Doch die Mühe lohnte sich: Münch bekam im Laufe der Zeit viele jener Protagonisten der deutschsprachigen Hip-Hop-Community vor die Kamera, die in den letzten 30 Jahren in dem Genre etwas bewegten. Dabei war es auch eines der erklärten Ziele des Filmemachers, neben den Hochs auch die Tiefpunkte in der Geschichte, aufzuzeigen. „Wenn der Vorhang fällt“ feierte auf dem Münchener Filmfestival 2016 Premiere.

Ein großer Pluspunkt des Films ist die Mannigfaltigkeit der Gesprächspartner, die alle drei (groben) Entwicklungsstufen des Genres, abbilden. Es werden Protagonisten der Anfänge aus den späten 80er-Jahren interviewt, erfolgreiche Hip-Hopper aus den 90ern aber ebenso Vertreter der erfolgreichen jüngsten Generation. Mit ihren fundierten, informativen Schilderungen, zeichnen sie ein detailliertes Bild der vergangenen drei Dekaden. 

Alle Interviewten kennen sich mit der Materie aus und sind (oder waren) Mitglied einer Community, deren Anspruch es war, dass jeder Teil der Bewegung werde konnte – unabhängig vom Bildungsstand, dem sozialem Hintergrund und vor allem von finanziellen Aspekten. Der Film profitiert auch davon, dass Münchs Gesprächspartner unzählige private Anekdoten und intime Bekenntnisse zu Hip-Hop-Jams, ersten musikalischen Gehversuchen und dem Einstieg in die Szene, zum Besten geben.

Zwischendurch blendet Münch immer mal wieder Ausschnitte legendärer Auftritte oder bekannter Klassiker des Genres, ein. Da fühlt man sich als Zuschauer prompt in die eigene Kindheit oder Jugend hineinversetzt, wenn auf der Leinwand Auszüge aus „Die da!?“ von den Fantastischen Vier oder „Hammerhart“ von den Absoluten Beginnern, gezeigt werden. Aber auch negative Aspekte und Kritik, die man dem Gerne vor allem mit dem wachsenden Erfolg von Gangsta-Rappern wie Sido oder Bushido entgegenbrachte, spart der Film nicht aus. Trägt Gangsta-Rap zur Verrohung der Jugend bei? Ist Hip-Hop zur Musik von kriminellen Bandenmitgliedern geworden, in deren Videos mit leicht bekleideten Mädchen und Kraftausdrücken, geprotzt wird? Auf diese und ähnliche Fragen, versucht der Film Antworten zu geben.

Der einzige nennenswerte Kritikpunkt besteht darin, dass „Wenn der Vorhang fällt“ noch mehr auf das hätte setzen sollen, worum es in dem Film geht und worüber gesprochen wird: Musik. Ein paar prägende Lieder und Ausschnitte aus Videos wichtiger Künstler mehr, hätten dem Film gut getan. Oder noch ein paar Impressionen von Live-Auftritten jener Musiker, die im Film zu Wort kommen. Aber: ein paar echte Raritäten hält der Film dann doch parat, z.B. privat mitgeschnittene Super-8-Aufnahmen eines Advanced-Chemistry-Konzerts aus den späten 80er-Jahren oder eines Auftritts der jungen Absoluten Beginner aus den frühen 90ern – mit dem noch nicht einmal volljährigen Jan Eißfeldt alias Jan Delay. Die Atmosphäre und pulsierende Energie jener Zeit, werden durch diese seltenen Aufnahmen deutlich.

Björn Schneider