Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei

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Auf den ersten Blick wirkt Ry Russo-Youngs „Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei“ wie eine jener unzähligen YA-Verfilmungen, die in den letzten Jahren entstanden: Teenager, Highschool-Dramen, die um die erste Liebe oder gleich um den Sinn des Lebens kreisen. Doch dank eines cleveren, an „Und täglich grüßt das Murmeltier“ angelehnten Erzählkonzepts wird aus einer 08/15-Geschichte ein origineller, prägnanter Film.

Webseite: capelight.de

OT: Before I fall
USA 2016
Regie: Ry Russo-Young
Buch: Maria Maggenti, nach dem Roman von Lauren Oliver
Darsteller: Zoey Deutsch, Cynthy Wu, Medalion Rahimi, Halston Sage, Kian Lawley, Elena Kampouris
Länge: 99 Minuten
Verleih: capelight pictures / Wild Bunch / Central
Kinostart: 1. Juni 2017

FILMKRITIK:

Sie zählen zur sozialen Elite ihrer High School: Samantha (Zoey Deutsch), Ally (Cynthy Wu), Elody (Medalion Rahimi) und Lindsay (Halston Sage) sind die Königinnen der Schule, stolzieren durch die Gänge, bestimmen, wer In und wer Out ist, sie sind sprichwörtliche „Mean Girls“, um den zweiten Film zu nennen, aus dem sich die DNA von Ry Russo-Youngs „Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei“ zusammensetzt.
 
Alles scheint perfekt zu laufen, besonders heute, am „Cupid Day“, einer Art Tag der Verliebten, an dem Samantha endlich ihre Jungfräulichkeit verlieren will. Doch bei der abendlichen Party ist ihr designierter Lover Rob (Kian Lawley) mehr als derangiert, vor allem aber führt ein wüster Streit mit der Außenseiterin Juliet (Elena Kampouris) zum Eklat: Wütend braust das Quartett davon, rast mit dem SUV durch neblige Straßen, direkt in einen Unfall hinein. Doch dann wacht Samantha auf, am Beginn des Tages, den sie fortan in zahlreichen Versionen durchlebt, bis sie einen Weg gefunden hat, die Zeitschleife zu durchbrechen.
 
Das Konzept des sich ständig wiederholenden Tages in den Kontext einer High School zu verlegen, wo sich für viele Schüler ohnehin jeder Tag wie der andere anfühlt, ist ein hübscher Dreh. Ohnehin überrascht der auf dem Young Adult oder kurz YA-Bestseller von Lauren Oliver basierende Film durch einige Tiefe, die angesichts der gelackten, von perfekten Menschen und makellosen Konsumgütern geprägten Oberfläche leicht übersehen werden kann. Einem Vergleich mit „Und täglich grüßt das Murmeltier“, dem Übervater des Genres mag „Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei“ zwar nicht standhalten, den Vergleich zu den meisten der in den letzten Jahren so beliebten YA-Filmen besteht er jedoch mit Leichtigkeit.
 
Was vor allem daran liegt, dass es Regisseurin Ry Russo-Young gelungen ist, ihre in drei Independent-Filmen geschulte Sensibilität mit den Möglichkeiten und auch Ansprüchen einer deutlich aufwändigeren Mainstream-Produktion in Einklang zu bringen. Es mag zwar nicht besonders subtil sein, wenn in der Literaturklasse der Mädchen gross Sisyphos an der Tafel steht, jener griechische Sagenheld, der von den Göttern damit bestraft wurde, einen Stein immer und immer wieder einen Berg hochzurollen, andererseits mag man hier auch an den berühmten Satz von Camus denken: "Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen". Und so wie Sisyphos realisiert, dass Zufriedenheit nicht davon abhängt, was sondern wie man es angeht, so realisert auch Samantha, dass sie aus der Zeitschleife nicht durch forcierte Nettigkeit ausbrechen kann, sondern erst dann, als sie versteht, warum es sich lohnt nicht dauernd auf Konfrontationsmodus zu laufen, sondern mit einem gesunden Maß an Altruismus. Am Ende mag "Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei" zwar auf die Entscheidung hinauslaufen, sich nicht von einem Idioten sondern von einem sympathischen Jungen entjungfern zu lassen,  doch im Kern ist Ry Russo-Youngs Teenager-Drama um einiges mehr als nur ein weiteres YA-Drama.
 
Michael Meyns