Der Mann aus dem Eis

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1991 entdeckten Alpwanderer die seit etwa 5300 Jahren im Eis konservierte Leiche eines Manns. Seitdem zieht der nach dem Fundort im Ötztal getaufte und im Bozener Architekturmuseum ausgestellte „Ötzi“ Wissenschaftler, Verschwörungstheoretiker und Touristen aus aller Welt an. Rasch stieg die Gletschermumie zum Mythos auf. Dennoch dauerte es 25 Jahre, bis mit „Der Mann aus dem Eis“ ein erster Ötzi-Kinofilm produziert wurde. Für sein Abenteuer fiktionalisiert Regisseur und Autor Felix Randau die wenigen gesicherten Fakten zur Lebensweise des Eismanns mit einem etwas eindimensionalen Western-ähnlichen Racheplot. In der Titelrolle überzeugt Jürgen Vogel, der den körperlich herausfordernden Part bravourös meistert.

Webseite: www.DerMannAusDemEis-Film.de

OT: The Iceman
Deutschland, Italien, Österreich 2017
Drehbuch & Regie: Felix Randau
Darsteller: Jürgen Vogel, André Hennicke, Susanne Wuest, Franco Nero, Sabin Tambrea, Martin Schneider, Paula Renzler, Nora Pider, Ann-Birgit Höller
Laufzeit: 96 Min.
Verleih: Port-au-Prince/24 Bilder
Kinostart: 30. November 2017

FILMKRITIK:

Das Sensationelle des Ötzi-Funds liegt in der natürlichen Konservierung des Frühmenschen im Eis – im Gegensatz zu den chemisch behandelten Mumien aus Ägypten. Auch Teile der Kleidung und Ausrüstung, darunter ein Kupferbeil und ein Feuerstein, blieben über die Jahrtausende erhalten. Eine bei Röntgenaufnahmen entdeckte Pfeilspitze im linken Schulterblatt lässt darauf schließen, dass der Mann von hinten durch einen Pfeilschuss getötet wurde. Außerdem zeugen Kampf- und Abwehrspuren von einem Nahkampf, den Ötzi vermutlich wenige Stunden vor seinem Tod austrug.
 
Die Frage, was genau der Mann vom Tisenjoch in den Stunden und Tagen vor seinem Tod erlebte und warum er ermordet wurde, kann die seriöse Wissenschaft freilich kaum klären. Angeregt von einem „Stern“-Artikel beackerte der Filmemacher Felix Randau die Forschungsgeschichte und entwickelte auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse ein fiktives Szenario. So spricht der Ötzi in der Verfilmung eine frühe Form des Rätischen, was auf den Schlüssen eines Linguistikers basiert. Die Untertitel zu den spärlichen Dialogen und Ausrufen lässt Randau konsequent weg, da die Interaktionen auch ohne Übersetzung verständlich sind. Auch die schlichten Holzhütten, die Fellkleidung und Ötzis Ausrüstungsgegenstände baute das Filmteam detailliert nach.
 
Im Film trägt der Ötzi den Namen Kelab und wird vom deutschen Schauspielstar Jürgen Vogel verkörpert, der sich schon mit seiner geringen Körpergröße und der markanten Zahnlücke für den Part empfiehlt. Unter dem verfilzten Haarteil, einem Vollbart und schweren Pelzen ist der Mime kaum wiederzuerkennen und stattet die körperlich fordernde Rolle mit viel physischer Präsenz aus. Kelab wird als spiritueller Führer einer kleinen neolithischen Siedlung eingeführt, wo er mit Frau und Kindern lebt. Sein Clan lebt in Holzhütten, hält Ziegen und Schweine und macht Feuer.
 
In der Exposition stellt Felix Randau die Lebensweise der Frühmenschen vor und inszeniert den Stoff als stilles Naturdrama im jungsteinzeitlichen Setting. Umso heftiger wirkt der brutale Überfall dreier Männer (darunter André Hennicke) auf die Siedlung, während Kelab im Wald Tierfallen aufstellt. Die Angreifer töten Kelabs Familie, brennen die Hütten nieder und stehlen einen wertvollen Stammesschatz. Nur ein Neugeborenes überlebt die Attacke. Nach seiner Rückkehr verfolgt Kelab die Männer, um Rache zu nehmen. Unterwegs stillt er den Säugling mit Hilfe einer Ziege und belädt sich bei Zusammenstößen mit anderen Menschen selbst mit Schuld.
 
Ab dem grausamen Überfall funktioniert der Ötzi-Film wie ein gradliniger Rachewestern, der einige Parallelen zu „The Revenant“ aufweist. Hier wie dort kämpft sich ein rachsüchtiger Mann durch die eisige Wildnis. Dazu passt auch, dass der aus Italowestern wie „Django“ bekannte Franco Nero einen Gastauftritt absolviert. Die rohe Brutalität fügt sich gut in die urtümliche Darstellung der Natur und wirkt trotz ihrer Drastik nicht selbstzweckhaft.
 
Das oft bemühte Klischee, die Landschaft eines Films als zweiten Protagonisten zu bezeichnen, passt hier wie die Faust aufs Auge. Dafür sorgen allein schon die auf der Tonspur hochgepegelten Naturgeräusche und das omnipräsente Pfeifen des Winds. Der Kameramann Jakub Bejnarowicz („Feuchtgebiete“) filmt das Hochgebirge an den Südtiroler Drehorten nicht in romantischen Heimatfilmmotiven, sondern als das, was die Natur für die Menschen der Jungsteinzeit bedeutete: Eine Gefahr für Leib und Leben. Symptomatisch hierfür steht eine betont lange Kamerafahrt einen Berghang hinauf, an deren Ende Kelab wie ein fragiler Punkt in rauer Wildnis wirkt.
 
Christian Horn