Die Anfängerin

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Noch mit Ende 50 steht die Ärztin Annebärbel (Ulrike Krumbiegel) ganz im Schatten ihrer dominanten Mutter (Annekathrin Bürger). Aus deren Ansprüchen, aber auch aus der eigenen Verbitterung befreit sie sich erst, als sie nach Jahrzehnten wieder mit dem Eiskunstlaufen beginnt. Regisseurin Alexandra Sell erzählt die Geschichte einer späten Selbstfindung vor dem Hintergrund der Berliner Eiskunstlaufszene. Dass dieses prägnante Portrait einer Frau, die noch einmal neu beginnt, nie ins Rührselige abdriftet dafür sorgen die kurzen, schroffen Dialoge, in denen viel Sarkasmus und ironische Boshaftigkeiten stecken. Nicht nur in der Besetzung, auch in den Sets und im Gastauftritt der früheren Eiskunstlaufweltmeisterin Christine Errath klingen etliche Bezüge zur DDR und ihrer ambivalenten Sportgeschichte an.

Webseite: www.dieanfaengerin.de

Deutschland 2017
Regie: Alexandra Sell
Darsteller: Ulrike Krumbiegel, Annekathrin Bürger, Rainer Bock
Verleih: Farbfilm
Starttermin: 18. Januar 2018

FILMKRITIK:

Es ist nie zu spät, die Träume der Kindheit zu verwirklichen. Eine solche Geschichte  ist im Kino schon oft erzählt worden. Aber noch nicht vor dem Hintergrund des Eiskunstlaufens, einer Sportart, der vielfach mit Skepsis begegnet wird. Was weniger mit den Pirouetten und Sprüngen zu tun hat als mit den sprichwörtlichen „Eiskunstlaufeltern“, deren Ehrgeiz schon vielen Mädchen und Jungs ihre Kindheit gekostet hat. Auch wenig einfühlsame Trainer, die ihre Schützlinge rücksichtslos auf Leistung drillen, haben zum zwiespältigen Image dieses Sports beigetragen. Fest steht: Wer auf dem Eis Medaillen gewinnen will, der muss schon in ganz jungen Jahren viele Opfer bringen.
 
In dieses Milieu also entführt Regisseurin Alexandra Sell in ihrem Spielfilmdebüt „Die Anfängerin“: Auch die Ärztin Annebärbel Buschhaus (Ulrike Krumbiegel) ist als junges Mädchen begeistert Schlittschuh gelaufen. Als Talent gefördert war ihre Karriere jedoch zu Ende, bevor sie wirklich begonnen hatte: Weil sie auf Stürze mit Tränen und nicht mit Verbissenheit reagierte, verschenkte ihre dominante Mutter (Annekathrin Bürger) die geliebten Schlittschuhe kurzerhand an eine andere. 50 Jahre später hat sich Annebärbel noch immer nicht aus dem Schatten der übermächtigen Mutter gelöst, die sie mit Herablassung und Missachtung gängelt. Als dann auch noch der Ehemann aus der biederen Vorstadtlangeweile ausbricht, steht Annebärbel vor den Trümmern ihres Lebens.
 
Sehr behutsam, aber dennoch mit einer gehörigen Portion Humor erzählt Alexandra Sell von einer Frau, die sich über die Jahrzehnte immer mehr in sich selbst und ihrer Bitterkeit zurückgezogen hat. Mit schroffer Kaltschnäuzigkeit rumort Annemarie durch den Alltag, schleichend ist sie ihrer Mutter immer ähnlicher geworden. Dann aber steht sie zufällig eines Nachts vor der Eissporthalle im Berliner Osten, in der sie einst als Mädchen trainierte. Und da setzt sie sich in den Kopf, es noch einmal auf dem Eis zu probieren.
 
Mit Eigensinn, Frechheit und ein wenig Bestechung verschafft sich Annebärbel Zugang zur Freizeitgruppe des Eislaufvereins, in dem es auch eine Trainingsgruppe für den Leistungssport gibt. Mit ihrem bissigen Sarkasmus und ihrer spöttischen Feinseligkeit ist Annebärbel zunächst ein Fremdkörper in der bunten Truppe der Amateureiskünstler, dafür findet sie Zugang zu der jungen Jolina aus dem Leistungskader, die trotz vorangegangener Erfolge den Anschluss an ihre Gruppe zu verlieren droht. Auf dem Eis gibt Annebärbel anfangs eine sehr unglückliche Figur ab, aber anders als früher hat sie nun gelernt zu kämpfen und sich durchzubeißen. Jenseits des Eises aber beginnt in ihr etwas zu schmelzen.
 
Alexandra Sell zeichnet das Portrait einer Frau, die sich spät im Leben aus ihrem Selbstmitleid, aber vor allem aus der unbarmherzigen Anspruchshaltung ihrer Mutter befreit. Dabei lebt der Film von der schauspielerischen Präsenz Ulrike Krumbiegels, die ihrer Figur eine einsame Verletzlichkeit verleiht, die hinter spröder Boshaftigkeit verborgen liegt. Nicht minder überzeugend verkörpert Annekathrin Bürger die alles verschlingende Mutter, die ihre Tochter selbst im fortgeschrittenen Alter noch mit ihrer permanenten Kritik zu erdrücken droht. Dass dieses Aufeinanderprallen nicht ins Melodramatische abdriftet, dafür sorgen die kurzen, giftigen Dialoge, in denen manche hübsche Gehässigkeit ihr Ziel nicht verfehlt.
 
Natürlich sind Ulrike Krumbiegel, in der Wendezeit ein gefeierter Star am Deutschen Theater in Berlin, und Annekathrin Bürger, eine der großen Schauspielerinnen der DEFA, vor allem dem ostdeutschen Publikum ein Begriff. Auch die Szenerie des Films knüpft in vielerlei Hinsicht an die ostdeutsche Sportszene an, als das Sportforum in Berlin-Hohenschönhausen eine der Leistungsschmieden des DDR-Sports war, gerade auch für die Eiskunstlaufszene. Insofern werden auch eher ehemalige DDR-Bürger den Gastauftritt der Welt- und Europameisterin aus den frühen 1970er Jahren, Christine Errath, zu schätzen wissen, die als mittlerweile 60-Jährige für den Film noch einmal die Schlittschuhe schnürte und eigens eine neue Kür einübte.
 
Doch auch wer nicht die zahlreichen Verbindungen zur DDR und ihrer sehr ambivalenten Sportgeschichte erkennt, der wird sich dennoch leicht mitnehmen lassen von der Geschichte einer Frau, die noch einmal neu anfängt. Denn schließlich ist es nie zu spät, Träume aus der Kindheit wahr werden zu lassen.
 
Klaus Grimberg