Die Einsiedler

Zum Vergrößern klicken

Der schweigsame Mittdreißiger Albert ist Sohn einer Bauernfamilie, die seit 150 Jahren einen Hof in den Bergen betreibt. Seine Mutter zieht noch immer die Fäden in seinem Leben. Als der Vater stirbt, muss er sich entscheiden: kehrt er zurück auf den Hof oder bewahrt er sich sein eigenständiges Leben im Tal? Der in triste, graue Bilder gehüllte Film „Die Einsiedler“ fordert aufgrund seiner ruhigen Erzählweise und minimalistischen Inszenierung Geduld vom Zuschauer. Belohnt wird er dafür mit einer beklemmenden, intensiven Mischung aus Charakterstudie und Alpen-Drama.

Webseite: www.barnsteiner-film.com

Deutschland, Italien, Österreich 2015/2016
Regie & Drehbuch: Ronny Trocker
Darsteller: Andreas Lust, Orsolya Tóth, Ingrid Burkhard, Hannes Perkmann, Peter Mitterrutzner
Länge: 110 Minuten
Verleih: Barnsteiner-Film
Kinostart: 12. Oktober 2017

FILMKRITIK:

Albert (Andreas Lust) ist auf einem Bauernhof in den Bergen groß geworden, den mittlerweile seine Eltern (Ingrid Burkhard, Peter Mitterrutzner) allein bewirtschaften. Einst schickte ihn seine Mutter zum Leben und Arbeiten ins Tal. Ihrer Ansicht nach seien die Abgeschiedenheit der Alpen und die harte Arbeit nicht das richtige für ihn. Eines Tages kommt es zu einem Unfall, den sein Vater nicht überlebt. Dann fällt auch noch der erste Schnee und Albert muss eine Entscheidung treffen: er überlegt, seine Arbeit im Tal aufzugeben, um sich um Hof und Mutter kümmern zu können. Der Preis wäre, dass er den Kontakt zur ungarischen Kantinenköchin Paola (Orsi Tóth) verliert. Die einzige Person die es schafft, zu dem zurückhaltenden Mann durchzudringen.

„Die Einsiedler“ ist das Spielfilm-Debüt von Ronny Trocker. Der gebürtige Südtiroler arbeitete vor seiner Tätigkeit als Regisseur viele Jahre in Berlin als Sound Engineer. Zum Filmemacher ließ er sich u.a in Argentinien ausbilden. An der Universität Buenos Aires, absolvierte er ein Film-Studium. Premiere erlebte sein Erstling auf den Filmfestspielen von Venedig 2017. Dort wurde das Werk in der Reihe „Orizzonti“ gezeigt.

Die Szenerie, in der „Die Einsiedler“ eingebettet ist, ist karg und erscheint weltfremd. Ein Großteil des Films spielt auf dem abseits gelegenen Berghof von Albert und seinen Eltern. Es ist eine düstere (Parallel-)Welt, da hoch oben in den Bergen. Geprägt von schwerer Arbeit und der ständigen Angst, von einer Lawine überrascht zu werden (Alberts Geschwister starben einst durch so eine Naturgewalt). Regisseur Trocker nutzt nebelverhangene, unheilvolle Bilder, um die fast schauerliche Stimmung auf dem Hof zu visualisieren.

Demgegenüber stellt er überwältigende Aufnahmen der majestätischen Bergkulissen, von denen der Bauernhof umschlossen ist. Die Weite und Freiheit der umliegenden Alpenlandschaften, stellen einen passenden Gegensatz zum beengten, einschnürenden Leben auf dem Familienhof, dar. Hier gelingt Trocker eine wunderbare metaphorische Entsprechung. Allerdings werden auch die Bilder der epischen Natur und martialischen Felswände, eher von dunklen Farbtönen bestimmt. Diese sind in der Lage, beim Betrachter Schwermut auszulösen. Ebenso wie sie sich bei Albert einstellt wenn er sieht, wie sich seine alten Eltern mit der landwirtschaftlichen Arbeit abmühen.

Noch bedrückender werden Atmosphäre und Tonalität  im Film, nach dem Ableben des Vaters. Die Darsteller schaffen es durch ihre emotionale aber minimalistische Art der Darstellung, die Seelenqualen und inneren Dämonen ihrer Figuren, nach außen zu kehren. Ohne, dass dabei sonderlich viel gesprochen wird. Andreas Lust liefert eine vielschichtige, herausragende Leistung als verschlossener Albert, der für den Zuschauer schwer zu greifen ist.

Dennoch fühlt man mit ihm, auch, weil sein Leben teils noch immer von einer arg dominanten, cholerischen Mutter diktiert wird. Sie wird von Ingrid Burkhard eindringlich als hilflose Frau dargestellt, die beinahe schon mit einer Todessehnsucht ausgestattet ist. Inklusive stoischer Miene und (schwer verständlichem) Wiener Akzent.

Der langsam erzählte, 110-minütige Film, der zudem keine musikalische Untermalung enthält, fordert vom Zuschauer letztlich nur zwei Dinge ein: ein wenig Geduld und die Bereitschaft, sich auf die reduzierte Geschichte mit ihren schwer zugänglichen Figuren einzulassen. Gelingt dies, kommt man in den Genuss eines aufwühlenden Films, der sich inhaltlich letztlich vor allem um den Versuch eines Mannes dreht, die Fesseln der Vergangenheit abzustreifen.

Björn Schneider