Kim hat einen Penis

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Ein Konzept, wie aus einer Comedy-Show: Plötzlich einen Penis besitzen und damit typische Rollenmuster umdrehen. Aus diesem extremen Ansatz zieht Philipp Eichholtz Beziehungskomödie „Kim hat einen Penis“ ihren Witz, der eine ganze Weile trägt, auch wenn die vielfältigen Implikationen des Spiels mit Geschlecht und Geschlechterrollen nicht wirklich ausgelotet werden.

Webseite: www.darlingberlin.de

Deutschland 2018
Regie: Philipp Eichholtz
Buch: Philipp Eichholtz, Christian Ehrich, Maxi Rosenheinrich, Martina Schöne-Radunski
Darsteller: Martina Schöne-Radunski, Christian Ehrich, Stella Hilb, Matthias Lier, Lilli Meinhardt, Sebastian Fräsdorf, Lana Cooper
Länge: 85 Minuten
Verleih: UCM.one, Darling Berlin
Kinostart: 13. Juni 2019

FILMKRITIK:

Kim (Martina Schöne Radunski) und ihr Freund Andreas (Christian Ehrich) sind ein mehr oder weniger glückliches Paar, das schon sehr lange zusammen ist. Während Andreas meist vor sich hingammelt, ist Kim Pilotin und gerade sogar befördert worden. Aus Anlass ihres beruflichen Aufstiegs hat sie sich in der Schweiz selbst ein besonderes Geschenk gemacht: Sie hat sich einen Penis machen lassen. Eine neue, unkomplizierte Prozedur erlaubt es jedem Menschen, einmal auszuprobieren, wie sich das so anfühlt, mit einem Penis. Vier Monate Zeit hat man, bzw. frau, um zu entscheiden, ob man den Penis auf Dauer behalten möchte.
 
Zu Hause in Berlin, im Bett, ist Andreas etwas überrumpelt, doch er ist ein sensibler, auch etwas unterwürfiger Mann, der sich stets bemüht, den Wünschen und Bedürfnissen seiner Freundin zu genügen. Als wäre diese neue Entwicklung ihrer Partnerschaft nicht schon aufreibend genug, zieht bald auch noch Anna (Stella Hilb) in die Wohnung von Kim und Andreas ein: Andreas Ex-Freundin, deren aktueller Freund gerade eine andere geschwängert hat, womit das Thema Kinderkriegen wieder akut auf Annas Radar auftaucht.
 
Bei Kims Bruder Tim (Matthias Lier) und dessen Frau Judith (Lilli Meinhardt) sind Kinder dagegen schon immer Thema gewesen, denn im Gegensatz zu seiner unkonventionellen Schwester hat Tim stets ein bürgerliches Leben mit Familie, Haus und vielen Kindern angestrebt. Dementsprechend irritiert zeigt sich Tim, als er von den Veränderungen im Leben und am Körper seiner Schwester erfährt.
 
Viel Personal fährt Philipp Eichholtz in seinem Film auf, viele Ansätze für eine komödiantische Auseinandersetzung mit Geschlecht, Geschlechterrollen, Vorurteilen und modernen Beziehungsmustern werden in den Raum gestellt. Gerade in einer Zeit, in der viel über die Rechte von Transmenschen geschrieben wird, in denen sich in Filmen und Fernsehserien so intensiv wie nie über ihre Probleme und Befindlichkeiten auseinandergesetzt wird, mutet es allerdings fast frivol an, dass hier eine so komplizierte und einschneidende Veränderung wie eine Geschlechtsanpassung als beiläufiges, komödiantisches Gimmick verwendet wird.
 
Doch schnell wird klar, dass Eichholtz und seine drei Co-Autoren, darunter die beiden Hauptdarsteller, wenig Interesse daran haben, sich auf wirklich komplexe Weise mit den Möglichkeiten der Ausgangsidee zu beschäftigen. Nur sanft geht es um die Umkehr von Rollenmustern, um eine Frau, die nicht nur ohnehin schon die Hosen in der Beziehung anhatte, nun auch noch sexuell den aktiven Part übernimmt, nur sacht werden die Urteile des Umfeldes von Kim beobachtet, das kaum mehr als ein wenig überrascht agiert.
 
In den Klamauk driftet „Kim hat einen Penis“ allerdings erfreulicherweise auch nicht ab. Komische Situation behaltet stets eine Grundernsthaftigkeit, die Figuren, ihre Bedürfnisse, ihr Umgang mit der neuen Situation werden stets ernst genommen, nie bloßgestellt oder der Lächerlichkeit preisgegeben. Hier zeigt Eichholtz erneut die Sensibilität, die er schon bei seinen vorhergehenden Filmen „Luca tanzt Leise“, „Liebe mich!“ und „Rückenwind von vorn“ bewiesen hat, in denen er stets ungewöhnliche, unkonventionelle Situationen und Konstellationen benutzt hat, innerhalb derer er seine kleinen, genau beobachteten Geschichten erzählte. Und so ist auch „Kim hat einen Penis“ am Ende viel bodenständiger als der extreme Ansatz vermuten lässt, nämlich in erster Linie eine gelungene Beziehungskomödie.
 
Michael Meyns