Könige der Welt

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Vier naive Jungs aus der deutschen Provinz: Ebenso musikbegeistert wie naiv gründen sie eine Rockband – Union Youth – und werden für kurze Zeit prominent. Der Film über sie beginnt 15 Jahre später, als der Ruhm beinahe vergessen ist. Die Jungs wollen nochmal von vorn anfangen, aber einer von ihnen ist krank … drogensüchtig. Der spannende, kleine Dokumentarfilm für ein vorrangig jüngeres Publikum erzählt ohne Gefühlsduseleien eine Geschichte über Freundschaft, Rock’n‘Roll, Drogen und das Musikbusiness. Sicherlich ein Nischenfilm, aber besonders für ein musikalisch interessiertes Publikum als Einblick in die Szene sehenswert.

Webseite: koenigederwelt.de

Dokumentarfilm
Deutschland 2017
Buch, Regie, Kamera: Timo Großpietsch, Christian von Brockhausen
Länge: 94 Minuten
Verleih: W-film
Kinostart: 19. Juli 2018

FILMKRITIK:

So funktioniert die Branche also, könnte man nach der ersten halben Stunde des Films denken, in der einige Klischees bedient werden, so wie man sie aus den Erfolgsgeschichten von Stars kennt: Vier Jungs aus der niedersächsischen Provinz gründen im Jahr 2000 eine Band. Ihre Leidenschaft fürs Musikmachen ist deutlich stärker ausgeprägt als ihre Virtuosität. Aber frech kommt weiter – die vier Jungs von UNION YOUTH wollen mit Gewalt berühmt werden, sie schaffen es durch ihre teils naive, teils arrogante Dreistigkeit, die natürlich auch ein Privileg der Jugend ist. Der Ruhm kommt schnell, die Band wird aufgrund eines Demobandes in die USA eingeladen und dort herumgereicht. Sie treten mit den Größten des Rock’n‘Roll auf, sie genießen das gute Leben, sie machen Tourneen, aber der Glanz ist nicht lange von Dauer, es gibt Probleme, und die Band trennt sich 2006, fünf Jahre nach ihrer Gründung.
 
15 Jahre später sind die Jungs Männer geworden. Sie haben wechselvolle Schicksale hinter sich. Maze, der ehemalige Leadsänger, will die Band wieder zusammenbringen. PICTURES soll sie heißen. Doch bevor es so weit ist, bricht Maze zusammen. Seit Jahrzehnten drogensüchtig, geht er auf Entzug. Die gerade frisch begonnene Zusammenarbeit steht auf dem Spiel, aber nicht die Freundschaft zwischen Maze, Ole, Michael und Markus.
 
In sachlichen, beinahe kühlen Bildern berichten Timo Großpietsch und Christian von Brockhausen von Aufstieg, Fall und Neuanfang. Mehr als anderthalb Jahre blieben sie an der Seite der Musiker. Im Mittelpunkt steht Maze, der Frontman und Leadsänger, der alle Fäden in der Hand halten möchte, aber nicht einmal mit sich selbst zurechtkommt. Wie alles anfing, wie es weiterging und was schiefging, wird vor allem in Rückblenden deutlich, die wie kleine Puzzleteile geschickt in die Gegenwart eingefügt werden und dadurch die Story noch interessanter gestalten. Insgesamt ergibt sich daraus ein ziemlich denkwürdiges Bandporträt, das den Alltag im Studio oder auf Tour zeigt und nichts beschönigt. Sinngemäß sagt Maze: „Man fährt fünf Stunden, baut eine Stunde auf für 40 Minuten Auftritt … das lohnt sich fast nicht. Aber es macht solchen Spaß!“ Sie sind eben Vollblutmusiker, sie leben für die Musik und brauchen den Kick auf der Bühne. Auch wenn sich ihre Musik inzwischen stark verändert hat – aus dem wütenden Hard Rock, der an Grunge-Sounds à la Nirvana erinnert, sind eher eingängige Rhythmen geworden. PICTURES ist deutlich sanfter, freundlicher und zugänglicher als UNION YOUTH, ohne dabei in Kommerzgedudel zu verfallen. Die Musik und ihr Wandel wird zum Ausdruck und Ergebnis einer Biographie. Mazes Musikerleben ist eben auch eine Drogengeschichte. Er selbst verharmlost nichts, sein Kampf gegen die Sucht wird für ihn ebenso zum Projekt wie die Reunion der Band. In beidem gibt es Rückschläge, aber die Leidenschaft für die Musik steht über allem und hält die Freunde zusammen. Trotz des so gar nicht sensationslüsternen oder gar rührseligen Tons, in dem die Beteiligten sprechen, teilt sich die Tragik dieser lebenslangen Begeisterung ohne weiteres mit: Die Freunde sind gemeinsam der Musik verfallen, die sie gleichzeitig krankmacht und wieder heilt.
 
Doch bei allem Lob für den ambitionierten Dokumentarfilm wird KÖNIGE DER WELT in der Kinofilmlandschaft wohl eine Randerscheinung bleiben.
 
Gaby Sikorski

Sie wollten die größte Rockband de Welt werden, doch bevor der Versuch beginnen konnte war er auch schon vorbei. „Union Youth“ hieß die Band aus der deutschen Provinz, die Anfang der Nuller Jahre alles wollte und sich 15 Jahre später unter neuem Namen wiederfindet. Dabei beobachten sie Christian von Brockhausen und Timo Großpietsch in ihrer intimen Dokumentation „Könige der Welt“, die spannende Einblicke in Höhen und Abgründe des Rockstarlebens liefert.
 
Aus Bad Bentheim, tief in der niedersächsischen Provinz, stammen die Musiker, die sich 2001 zusammentaten, um die Welt zu erobern. Aus dem Sänger Maze Valentin, dem Schlagzeuger Bowy, dem Gitarristen Jon Orion und dem Bassist Nosse K bestand die Formation „Union Youth“ die eine Variation des damals beliebten Garagenrock spielten. In einer Scheune in ihrer Heimat probte das Quartett wie verrückt, nahm Demos auf – damals noch auf Kassetten – die sie mit der Aufschrift an Plattenfirmen in Amerika schickte: „Wir versprechen, die beste Rockband aller Zeiten zu werden, wenn ihr das nicht glaubt – fuck off.“
 
Gerade in Amerika hat Selbstvertrauen noch nie geschadet, woran es jedoch gelegen hat, dass die Niedersachsen tatsächlich diverse Angebote von großen Plattenfirmen bekamen, können sie sich vielleicht gar nicht selbst erklären. Doch statt weltweitem Erfolg kam es anders: Nach einem kurzen Besuch in Los Angeles hatte Sänger Maze genug und lehnte einen Vertrag ab, der ihnen wohl Millionen gebracht hätte. Es braucht wenig Phantasie, um sich vorzustellen, dass diese Entscheidung bei seinem Bandkollegen nicht unbedingt auf Gegenliebe stieß, weswegen sich die Band alsbald auflöste.
 
Gut 15 Jahre später waren die Wunden offenbar verheilt genug, um einen Neuanfang zu versuchen, diesmal unter dem Namen „Pictures“, vor allem aber begleitet von den Filmemachern und Journalisten Christian von Brockhausen und Timo Großpietsch, die den Comeback-Versuch von Anfang an filmisch begleiteten und somit auch hautnah miterlebten, wie Sänger und Frontman Maze Valentin mit seinen Dämonen kämpfte: Alkohol, vor allem aber Drogen hatten sein Leben weit mehr geprägt als das seiner Kollegen, eine Sucht, die ihn unzuverlässig und erratisch werden ließ. Statt im Proberaum landet er somit alsbald in der Entzugsklinik, wo er lernen muss, andere Wege zu finden, zur Ruhe zu kommen, als zum Heroin zu greifen.
 
Ganz eindeutig steht Maze Valentin im Mittelpunkt dieser Dokumentation, während seine drei Bandkollegen, die erst spät zu wirklichen Freunden werden, kaum mehr als Statisten in einer klassischen Suchtgeschichte sind. Die Nähe, die die Regisseure dabei zur Band haben, zu den Bemühungen, neue Songs aufzunehmen, eine kleine Tour auf die Beine zu stellen, nicht erneut an den eigenen Vorstellungen und vor allem an sich selbst zu zerbrechen, macht „Könige der Welt“ zu einer bemerkenswerten Dokumentation. In manchen Momenten erinnert der Kampf mit den Dämonen, die Bemühungen, die Bandinternen Streitigkeiten zu überwinden, um sich wieder ganz auf die Musik zu konzentrieren, dabei an die Metallica-Dokumentation „Some Kind of Monster“.
 
Größter Unterschied sind dabei die Sphären, in denen sich die beiden Bands bewegen: Die eine auf Weltniveau, die andere beim Tingeln durch die Provinz, inklusive Übernachten in banalen Hostels. Dass diese vier Niedersachsen einst an der Schwelle zu viel mehr standen, dass sie ein ganz anderes Leben vielleicht aufgegeben, vielleicht auch verschenkt haben, macht das Porträt dieser Band umso bewegender. Der Preis des Erfolgs wäre groß gewesen, doch wäre er tatsächlich größer gewesen als der Preis, den man stattdessen bezahlt hat? „Könige der Welt“ beantwortet diese Frage nur indirekt, außer vielleicht in seinem Titel, der andeutet, was hätte sein können.
 
Michael Meyns