Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess

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Aus dem bekannten Jugendbuch von Anna Woltz macht Steven Wouterlood einen entspannten Sommerfilm: Ein schüchterner Jungphilosoph trifft im Urlaub am Meer eine taffe Teenie-Lady, die ihm gehörig zu schaffen macht. Dabei geht es keinesfalls vorrangig um eine Ferienliebe, sondern durchaus um Themen, die von universeller Bedeutung sind: Familie, Freundschaft, Erinnerungen.

Webseite: www.farbfilm-verleih.de

Originaltitel: Mijn bijzonder rare week met Tess
Niederlande/Deutschland
Regie: Steven Wouterlood
Drehbuch: Laura van Dijk (nach dem gleichnamigen Buch von Anna Woltz)
Darsteller: Jennifer Hoffman, Julian Ras, Hans Dagelet, Guido Pollemans, Terence Schreurs, Tjebbo Gerritsma, Sonny Coops Van Utteren, Josephine Arendsen, Johannes Kienast, Suzan Boogaerdt
Jahr: 2019
84 Minuten
Verleih: farbfilm verleih
Kinostart: 3. September 2020

FILMKRITIK:

Sam übt das Alleinsein. Als jüngstes Mitglied seiner Familie ist ihm klar geworden, dass er einmal ganz allein auf der Welt sein wird, denn mit großer Wahrscheinlichkeit werden alle anderen vor ihm sterben. Da kann er jetzt schon mal mit dem Training anfangen. So ein Urlaub am Meer könnte sich dafür ganz hervorragend eignen, zumal aus dem geplanten Strandspaß ohne Ende mit der ganzen Familie nichts wird, weil sich Sams älterer Bruder erstmal gleich den Fußknöchel bricht. Als Sam zufällig die obercoole Tess kennenlernt, nimmt sein Urlaub allerdings schon wieder eine Wende, mit der er absolut nicht gerechnet hat. Tess ist genau das Gegenteil des schüchternen Sam – das Musterbild einer experimentierfreudigen und gleichzeitig überaus energischen jungen Dame, deren Charme man nur schwer widerstehen kann. Ehe er sich’s versieht, macht Tess ihn zum Sparringspartner beim Tanztraining, und es dauert nicht lange, bis er ihr Komplize wird. Denn Tess hat heimlich das große Geheimnis ihrer Mutter gelüftet und herausgefunden, wer ihr Vater ist. Und nun hat sie den Betreffenden, selbstverständlich, ohne ihre ahnungslose Mutter zu informieren, mithilfe eines todsicheren Plans auf die Nordsee-Ferieninsel eingeladen, weshalb es ganz praktisch ist, dass Sam aufgekreuzt ist, denn Tess braucht dringend einen Verbündeten.

Die Kamera (Sal Kroonenberg) schwelgt in schönen Bildern von Dünen, Strand und Meer, die Lust auf Urlaub machen. Der Plot erinnert ein bisschen an eine Jugendversion von „Mamma Mia“ und steckt ebenfalls voller Überraschungen. Auch diese Geschichte spielt auf einer Insel, es geht allerdings nicht um die alleinerziehende Hippiemutter, sondern um ihre Tochter, die ebenfalls heimlich ihren Vater (immerhin nur einen) auf die Insel zitiert. Eigentlich geht es um Sam, zumindest steht er in der literarischen Vorlage mehr im Fokus als im Film, aber Tess und ihre schillernde Gegenwart sorgen bald dafür, dass er in den Hintergrund rückt. Kein Wunder: Sam ist ein zehnjähriger, ziemlich wohlbehüteter Junge mit philosophischen Neigungen, der von der quirligen und unberechenbaren Tess ebenso fasziniert wie geschockt ist. Sie ist in allem sein Gegenteil. Wo er bedächtig ist, ist sie spontan; wenn er sich ängstigt, wird sie immer mutiger. Da ist es kein Wunder, wenn Sam und seine eher düsteren Zukunftsvisionen von Tess‘ wüsten Einfällen und ihrer überschäumenden Aktivität überdeckt werden. Bisher dachte er eigentlich, dass er schon ziemlich originell wäre, aber Tess schlägt ihn um Längen. Die beiden könnten sich perfekt ergänzen, aber so einfach ist das alles nicht mit der Freundschaft und auch mit der Liebe, wie man deutlich an den Erwachsenen erkennen kann. Während Josephine Arendsen lässig, cool und sehr überzeugend die kapriziöse und manchmal ziemlich nervige Göre mimt, ist Sonny Coops Van Utteren als Sam ein zurückhaltender, etwas ungelenker Begleiter, der in ihrer Gegenwart kaum zu Worte kommt – sie überfährt ihn gleichsam mit ihrem Temperament und mit ihren erfundenen Geschichten. Langsam finden beide zueinander und zu einer gemeinsamen Grundlage und damit auch zu einem guten Ende für alle und alles. Das ist dann sehr familienfreundlich und kinderkompatibel, angemessen lustig und flott gespielt: eine insgesamt hübsch verpackte Geschichte übers Erwachsenwerden und den Wert gemeinsamer Erinnerungen.

Gaby Sikorski