Eine sehr intensive familiäre Beziehung steht im Zentrum des Dramas „Schwesterherz“, das in diesem Jahr auf der Berlinale Weltpremiere feierte. Das Verhältnis der Geschwister wird erschüttert, als der Bruder mit schlimmen Vorwürfen konfrontiert wird. Der konsequent aus der Perspektive der weiblichen Hauptfigur erzählte Film seziert nüchtern, aber stets fokussiert eine hoch komplexe Bruder-Schwester-Verbindung – und stellt am Ende die Kernfrage nach der individuellen Verantwortung.
Über den Film
Originaltitel
Schwesterherz
Deutscher Titel
Schwesterherz
Produktionsland
DEU,ESP
Filmdauer
96 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Fischer, Sarah Miro / Maagaard, Agnes
Verleih
eksystent Filmverleih
Starttermin
08.01.2026
Rose (Marie Bloching) und ihr älterer Bruder Sam (Anton Weil) sind unzertrennlich. Seit Rose sich von ihrer Freundin getrennt hat, wohnen die beiden vorübergehend zusammen. Doch ihr gutes Verhältnis gerät aus den Fugen als Sam beschuldigt wird, eine Frau vergewaltigt zu haben. Im Zuge der Ermittlungen soll Rose gegen ihren eigenen Bruder aussagen. Die junge Frau ist hin- und hergerissen: Einerseits will sie Sam glauben, andererseits wachsen die Zweifel an seinen Aussagen.
Sehr oft wähnt man sich in „Schwesterherz“ mehr in einem Dokumentar- als in einem Spielfilm. Das liegt an der aufmerksamen, beobachtenden Kamera, mit der Regie-Debütantin Sarah Miro Fischer von der ersten Minute an ihren Figuren folgt. Sie ist stets dicht bei den Handelnden, allen voran beim Geschwisterpaar. Wir sehen sie meist in uns allen bekannten Alltagssituationen des Zusammenlebenslebens – beim Kochen, Abhängen, Zähneputzen und Haare föhnen, in Gesprächen oder auch mal beim Schwimmen im nahe gelegenen See. Die Charaktere erscheinen auf diese Weise als nahbare, ganz normale Menschen mit Identifikationspotential.
Die ungeschliffenen, authentischen Handkamerabilder sind Teil einer konzentrierten, durch und durch absichtsvollen Inszenierung, in der Fischer Mut für lange Einstellungen und minutenlange Dialogszenen aufbringt. Bestes Beispiel in eine packend gespielte Verhörszene zwischen Rose und einem Ermittler, in deren Verlauf sich die ganzen Ungewissheiten und Unsicherheiten der zweifelnden Schwester manifestieren.
Der aus Rose Blickwinkel erzählte Film konzentriert sich entsprechend stark auf die Protagonistin und ihre Befindlichkeiten. Die Folge: Es bleibt wenig Raum für die Nebenfiguren, die überhaupt eher als Staffage erscheinen. Von der Mutter über eine gute Bekannte der Geschwister bis hin zu Roses Ex-Freundin. Sie tauchen allesamt nur kurz auf und sind mehr Randerscheinung als ernstzunehmende, für die Handlung relevante Charaktere. Eine sorgfältigere Ausarbeitung dieser Personen wäre folglich wünschenswert gewesen. Zudem bleiben einige Aspekte unberücksichtigt und Fragen offen: Wieso genau besteht ein so großes Abhängigkeitsverhältnis zwischen Sam und Rose? Woher rühren Sams emotionale Instabilität und die – subtil aufscheinenden – Rivalitäten zwischen dem Geschwisterpaar? Dies alles bleibt größtenteils der Interpretation des Zuschauers überlassen.
Darstellerisch wiederum vermag „Schwesterherz“ vollends zu überzeugen. Marie Bloching ragt als innerlich zerrissene Schwester heraus. Im Übergang zum zweiten Drittel (mit Aufkommen der Vorwürfe) wechseln Stimmung und Tonalität und in der Folge entwickelt sich das Drama beinahe in ein Ein-Personen-Stück, in dem Bloching in fast jeder Szene zu sehen ist. Allmählich beginnt Rose, ihre eigenen „Wahrheiten“ und Glaubenssätzen infrage zu stellen. Die Theater-erfahrene 29-Jährige spielt all das mit großer Zärtlichkeit und Genauigkeit.
Trotz der komplexen Emotionen, die aufseiten aller Beteiligten entstehen, und der Schwere der Thematik bleibt „Schwesterherz“, und das ist eine weitere große Stärke, zurückhaltend, nüchtern und vor allem neutral. Fischer wertet zu keinem Zeitpunkt. Stattdessen blickt sie voller Empathie auf die Beteiligten sowie ganz ohne Sentimentalität oder künstliche Betroffenheit auf die Ereignisse. Zwischen Loyalität und einem unerschütterlichen Gerechtigkeitssinn hin- und hergerissen, beweist Rose am Ende Standhaftigkeit und beachtlichen Mut. Darin zeigt sich dann schließlich auch eine der Kernbotschaften des Films. Denn „Schwesterherz“ fordert den Betrachter auf, Vorkommnisse immer ganzheitlich in Augenschein zu nehmen, also alle Seiten zu betrachten. Und: überlegt zu reflektieren, statt vorschnell zu verurteilen oder zu stigmatisieren.
Björn Schneider







