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Romeo und Julia am Rande Kopenhagens: Die junge Liebe zwischen einer Dänin und einem Palästinenser muss sich gegen einen unterschwelligen Kampf der Kulturen behaupten. Ein schlichtes, kraftvolles Drama um Schuld und Loyalität, um Generationenkonflikte und bröckelnde Ideale aus den Händen der dänischen Regisseurin Annette K. Olesen, deren hellsichtige erste Filme („Kleine Missgeschicke“, „In deinen Händen“) mehrfach ausgezeichnet wurden.

Webseite: www.arsenalfilm.de

DK/GB 2006
Regie: Annette K. Olesen
Darsteller: Mohammed-Ali Bakier, Joy K. Petersen, Anette Stövelbaek, Hell Hertz, Subhi Hassan
Format: 35mm, 1:2,35
Verleih: Arsenal
Länge: 90 Min.
Kinostart: 10.5.2007

Preise: Nordische Filmtage Lübeck: Publikumspreis u.a.

PRESSESTIMMEN:

"1:1" spielt in Dänemark, wo der Streit um die Mohammed-Karikaturen seinen Anfang nahm - und doch erzählt Regisseurin Annette K. Olesen eine universelle Geschichte über Stolz und Vorurteile. ...ein kitschfreies Moraldrama.
Der Spiegel

FILMKRITIK:

Die Hochhaussiedlung wurde mit der Euphorie der 70er Jahre gebaut. „Der Verkehrslärm darf das Vogelgezwitscher  nicht übertönen“, lautete eine der Auflagen für die Architekten. Damals waren Mie (Joy K. Petersen)  und Shadi (Mohammed-Ali Bakier) noch gar nicht geboren. Die Dänin und der Palästinenser gehen noch zur Schule und lieben sich. Dass sie ein Paar sind, wissen nur Mies Mutter und Bruder, nicht aber die Mitschüler und Shadis Eltern. Der Ausländeranteil in der Siedlung ist hoch und birgt latente Spannungen. Shadis Bruder Tareq bezeichnet Mie als „dänische Nutte“. Mies Bruder Peer sieht sich von „Negern“ umzingelt.
Als Peer eines Nachts brutal zusammengeschlagen wird und ins Koma fällt, ahnt Shadi, dass sein älterer, wenig intelligenter Bruder Tareq, ein Amateurboxer, mit dem Überfall zu tun hat. Aber er traut sich nicht, ihn zur Rede zu stellen. Auch Mie scheut sich, genauer nachzufragen. Ihre tolerante Mutter (Anette Stövelboek) verdrängt die Konflikte, die sie täglich als Sozialarbeiterin erlebt. Für ihr Zuhause möchte sie ihre Ideale erhalten. Sie wartet ab, ringt mit sich, kontrolliert sich, will sich ihre Offenheit bewahren, nicht in die Falle der Vorurteile tappen. Die vorsichtig gestellten Fragen ihrer eigenen Mutter (Helle Hertz), die Klarheit und Sicherheit schaffen will, blockt sie rabiat ab.

Auch die Familie von Shadi lebt aneinander vorbei. Seine verschleierte kleine Schwester beschäftigt sich hauptsächlich mit ihrem Handy, die Mutter scheitert mit ihren impulsiven Bemühungen, die Familie zusammenzuhalten, der Vater weiß nicht, was seine Söhne treiben, er gefällt sich in seiner Rolle als gut gelauntes Familienoberhaupt. Auf beiden Seiten funktionieren die alten Familienbilder nicht mehr. Die Kinder tun das Gegenteil von dem, was die Eltern erwarten, weil sie sich unverstanden, ungeliebt, nicht respektiert fühlen. Eltern und Kinder leben in unterschiedlichen Welten, die Jungen in der Realität, die Älteren in ihren Wunschvorstellungen.

Wie klar und unaufdringlich Annette K. Olesen die Klischees von traditionellem Familienzusammenhalt und politischer Korrektheit, von aufgeklärter Toleranz und vom blinden Rassismus hinterfragt, ist ein Kunststück. Ihre Vorgehensweise ist weder belehrend noch wertend. Sie gibt keine Antworten. Mit zärtlicher Intensität beobachtet die Kamera die Gesichter der Menschen, in denen die widersprechenden Gefühle und Überlegungen brodeln: Angst, Zuneigung, Kompromissbereitschaft, Unverstandensein, Wut. In dieser Betrachtung sind die Darsteller alle überzeugend, es sind Menschen voller Sehnsüchte und Widersprüche, sie wirken so lebendig, als würden sie einem gegenüberstehen.

Dorothee Tackmann

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Vorstadtviertel von Kopenhagen. Es ist eine problematische Wohngegend, weniger begüterte Menschen wohnen hier, auch Immigranten massenweise. Die junge Dänin Mie und der Palästinenser Shadi lieben sich. Ob Shadis muslimische und gläubige Eltern mit einer solchen Verbindung jemals einverstanden wären, ist sehr die Frage. Die Jungen gehen abends aus: Freunde und Partys. Eines nachts wird Mies Bruder Per zusammengeschlagen und ausgeraubt. Er ist so schwer verletzt, dass er tagelang im Koma liegt.

Wer und wo sind die Schuldigen? Der Verdacht fällt auf Shadis Bruder Tareq, einen erfolgreichen Boxer. Der allerdings tritt gegen solche Vermutungen derart selbstherrlich und gewalttätig auf, dass niemand ihm direkte Vorwürfe zu machen traut. Denn vielleicht hat er ja Per auch gar nichts getan. Die Polizei kommt nicht weiter.

Wegen dieser Gerüchte, dieser Unsicherheit und des so entstandenen Angstklimas entfremden sich auch Mie und Shadi. Dessen Mutter verzehrt sich in Sorge. Und der Vater weiß auch nichts anderes zu machen, als seinen Söhnen gut zuzureden. Der Wachmann und Boxtrainer Ole nährt die Vorwürfe gegen Tareq. Mies Mutter will nur eines: dass Per überlebt. Die Großmutter rät dringend, das ihrer Ansicht nach gefährliche Stadtviertel zu verlassen. Die Stimmung wird immer beklemmender.

Brisante Themen werden angeschnitten: die sozialen Ghettos in den Vorstädten der großen Metropolen; die Schwierigkeiten mit der Integration von Immigranten; die zunehmende Gewalt; die damit verbundenen Befürchtungen; das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturen; die sich für Liebende daraus ergebende Kluft; die auf alles abfärbende Angst als Ergebnis einer ungewissen Lage, schlechter Wohnverhältnisse und schleichender Gewalttätigkeit.

Annette K. Olesen zeichnet diese Zustände mit wenigen und einfachen Mitteln intensiv und eindringlich. Es geschieht wenig, aber umso direkter wirkt die beabsichtigte Schilderung, umso mehr verbreitet sich das Unbehagen. Was sie anstrebte, was sie zeigen wollte, ist gelungen. Als Regie eine gute Leistung. Sie nahm Laiendarsteller zu Hilfe, die Eindruck machen – besonders Mohammed-Ali Bakier als Shadi und Subhi Hassan als Tareq.

Eine geglückte Integrations- und Sozialstudie aus Dänemark (wo der zu heftigen Auseinandersetzungen führende Karikaturenstreit seinen Ausgang nahm).

Thomas Engel