45 Minuten bis Ramallah

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Mit dem bewährten Konzept des klassischen Buddy- und Roadmovie nähert sich Regisseur Ali Samadi Ahadi dem langjährigen Nahostkonflikt zwischen Israel und Palästina. In einer von Mauern und Stacheldraht zerschnittenen Welt strotzt seine schrille Tragikomödie „45 Minuten nach Ramallah“, nach dem gleichnamigen Roman von Gabriel Bornstein, vor schwarzem Humor und absurdem Chaos. Eine Hochzeit und ein Todesfall bringt seine Protagonisten in Zeiten der Belagerung in die verrücktesten und abenteuerlichsten Situationen und macht dabei trotzdem die persönliche Dimension von Politik greifbar.

Webseite: www.zorrofilm.de

Deutschland, Jordanien, Israel 2013
Regie: Ali Samadi Ahadi
Drehbuch: Gabriel Bornstein, Karl-Dietmar Möller-Naß
Kamera: Wedigo von Schultzendorff
Darsteller: Navid Akhavan, Julie Engelbrecht, Karim Saleh, Jackie Sawiris, Eyas Younis, Ed Ward
Länge: 87 Minuten
Verleih: Zorro
Kinostart: 5. Dezember 2013

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Gern begibt sich das Kino in den Trubel von Hochzeiten. Genussvoll schaut der Blick der Kamera dann dabei zu, wie Fassaden einstürzen, Selbsteinschätzungen zerbröckeln, das Bild der glücklich vereinten Familie unter dem Harmonisierungsdruck kippt. Seismographisch arbeitet sie sich zum wirklichen Gefühlsschlamassel vor und lotet die Untiefen aus. Doch nicht immer eskaliert die Situation derart, dass am Ende ein Todesfall steht. Und damit die wirklichen Problem freilich erst beginnen.

Für den Palästinenser Rafik (Karim Saleh) entwickelt sich die Hochzeit seines angepassten Bruders Jamal (Navid Akhavan) zum Alptraum. Nicht umsonst fuhr er von Hamburg bereits mit gemischten Gefühlen nach Ost-Jerusalem. Schließlich liegt der Abtrünnige mit seinem starrköpfigen Vater seit langem im Clinch. Während der Feier brechen alte Konflikte wieder auf. Sein Vater will ihn unbedingt zu einer arrangierten Ehe überreden. Der hitzige Streit endet tragisch. Inmitten der Gäste stirbt das erzürnte Familienoberhaupt an einem Herzinfarkt.

Doch damit nicht genug sein letzter Wunsch, in seiner Heimatstadt Ramallah im Westjordanland beerdigt zu werden, bringt die beiden ungleichen Brüder erst recht in arge Bedrängnis. Denn die Grenzkontrollen in den Palästinensischen Autonomiegebieten sind hart. In Jamals Transporter für seine Klimaanlagen versuchen die beiden im Kofferraum die Leiche einzuschmuggeln. Doch der vermeintliche Kurztrip entwickelt sich zu einer waghalsigen Mission. Vor allem nachdem ihnen ihr Auto samt Leiche gestohlen wird, beginnt eine haarsträubende Odyssee.

Dabei geraten die zerstrittenen Brüder an russische Autoschieber, die israelische Polizei nimmt sie in die Mangel, sie fallen Freiheitskämpfern in die Hände und stehen sogar vor einem Erschießungskommando. Aber mitten im Chaos trifft Rafik seine große Liebe. Die temporeiche, wilde Tragikomödie ist beißend ironische Polit-Satire, makabres Road Movie und Love Story zugleich. Mit sicherem Gespür bietet Regisseur Ali Samadi Ahadi eine Fülle an absurden Einfällen. „Ich denke, dass Komödien mit unbequemen Themen die stärkste und dauerhafteste Wirkung auf den Zuschauer haben“, glaubt der deutsch-iranische Regisseur nicht ganz zu unrecht.

Bereits in seinem preisgekröntem Spielfilmdebüt, der skurrilen Culture Clash Komödie „Salami Aleikum“, transportierte er Ernsthaftes auf absurde Weise. Seine Figuren wirken erneut auf kluge Art bizarr überzeichnet. Fantasievoll spielt der 41jährige auch dieses Mal mit verschiedenen Stilelementen. Animierte Sequenzen unterbrechen den Lauf der turbulenten Geschichte. Und auch das Timing stimmt, um die Spannung zu halten. Das verdankt er nicht zuletzt seinem spielfreudigen Hauptdarsteller Navid Akhavan, der bereits in „Salami Aleikum“ als strickender Metzgerssohn glänzte.

Meisterhaft beherrscht auch der in Teheran geborene Schauspieler und Sänger den Spagat zwischen souveräner Missachtung der Realität und Normalität des Grotesken. „Am liebsten lache ich über die ernsten Dinge des Lebens“, verrät der 33jährige. „Dann kann man sie auch am besten meistern“, weiß der facettenreiche Exilperser, der als vierjähriger mit seinen Eltern während des Golfkriegs aus dem Iran floh. Ein Glücksgriff bei dieser makaber-komischen Gratwanderung durch das Minenfeld Nahost ist auch sein Partner im Film der zwischen den Kulturen im Libanon aufgewachsene französische Schauspieler Karim Saleh. Zusammen präsentieren sie ein glaubwürdiges Brüder-Duo im Dauerclinch.

Luitgard Koch