Blau ist eine warme Farbe

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Die Geschichte einer Frau, die sich vom jungen Mädchen zur selbstbewussten Frau entwickelt, und von ihrer Liebe zu einer Frau. Eine intensive Darstellung von Freud und Leid der ersten Liebe, in der die Neuentdeckung Adèle Exarchopoulos über weite Strecken brillant agiert. Ausgezeichnet mit der Goldenen Palme Cannes 2013.

Webseite: www.alamodefilm.de

OT: La vie d’Adèle, chapitres 1&2
Frankreich 2013
Regie: Abdellatif Kechiche
Buch: Abdellatif Kechiche, Ghalya Lacroix, nach der Graphic Novel von Julie Maroh
Darsteller: Adèle Exarchopoulos, Léa Seydoux, Salim Kechiouche, Mona Walravens, Jérémie Laheurte
Länge: 179 Minuten
Verleih: Alamode/ Wild Bunch
Kinostart: 19. Dezember 2013

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Eine Schauspielerin ist sauer auf den Regisseur und will nie wieder mit ihm arbeiten, die Autorin der Vorlage wirft dem Regisseur Sexismus vor, der Regisseur verteidigt seine künstlerische Freiheit, und zudem scheint es so, als wäre die wichtigste Frage, ob eine lesbische Sexszene nun 10, 15 oder gar 20 Minuten lang ist.

Wenn in Festivalfilmen mehr oder weniger graphische Sexszenen vorkommen, reduziert sich die mediale Wahrnehmung oft ausschließlich auf diese. Worum es in den Filmen eigentlich geht, warum ein Regisseur (und ja, es sind meist männliche Regisseure, aber das ist ein anderes Thema) Sexszenen einsetzt, die wenig der Phantasie überlassen, diese Fragen bleiben meist außen vor. Ja, es gibt in „Blau ist eine warme Farbe“ zwei Sexszenen, in denen die beiden Darstellerinnen Adèle Exarchopoulos und Léa Seydoux minutenlang mit vollem Körpereinsatz agieren. Doch zum einen sind beide Szenen zusammen kaum mehr als fünf Minuten lang, zum anderen fügen sich die beiden Szenen nahtlos in eine Geschichte, die in jedem Moment – vor allem auch den angezogenen – einen extrem naturalistischen, dichten und direkten Blick auf eine erste Liebe wirft.

Die Goldene Palme wurde zwar explizit auch den beiden Darstellerinnen verliehen, doch „Blau ist eine warme Farbe“ ist keineswegs das Porträt von zwei Frauen: Wie der Originaltitel „La vie d’Adèle“ andeutet, geht es in aller erster Linie um Adèle, die nicht umsonst so heißt wie ihre Darstellerin Adèle Exarchopoulos. In praktisch jedem Moment der fast drei Stunden ist Exarchopoulos zu sehen, folgt ihr die Kamera auf ihren Wegen, kommt ihr nah, ohne sie zu bedrängen, zeigt ihr Leben, dass anfangs einen ganz gewöhnlichen Weg nimmt. Adèle geht in die Schule, albert mit ihren Freundinnen herum und hat Sex mit einem Jungen. Doch so recht gefällt ihr das Zusammensein mit einem Mann nicht, und da kommt Emma (Léa Seydoux) ins Spiel. Ein paar Jahre älter als Adèle und nicht nur dank ihrer blauen Haare unübersehbar. Die angehende Künstlerin führt Adèle in eine andere Welt ein, voller neuer Möglichkeit und Ideen. Schnell wird aus den Frauen ein Paar, doch die Gegensätze sind überdeutlich.

Während Emma als Künstlerin arbeitet, beginnt Adèle eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. Während Emmas Eltern gebildete Großstadtbürger sind und guten Rotwein trinken, leben Adèles in der Banlieue und essen Spaghetti. Emmas Freunde wissen Adèles Kochkünste zwar zu schätzen, doch zunehmend fühlt sich Adèle wie ein Anhängsel – und beginnt eine Affäre mit einem Arbeitskollegen.

Dass es hier um eine lesbische Liebe geht, spielt keine Rolle, was Kechiche bisweilen überdeutlich zum Ausdruck bringt: Egal ob Hetero, schwul oder lesbisch, ob arabisch, schwarz oder weiß, am Ende geht es nur um die Liebe, bringt es der Besucher einer Bar in einer Szene auf den Punkt. Von solch etwas aufgesetzten Szenen abgesehen gelingt es Kechiche jedoch wie schon in seinem meisterhaften „Couscous mit Fisch“, seinen Figuren auf subtile, naturalistische Weise nahe zu kommen. Eine Handlung entfaltet sich nur lose, Szenen, gerade solche, in denen gegessen wird, entfalten sich oft über Minuten und entwickeln gerade durch ihre Länge besondere Kraft. Und stets ist Adèle Exarchopoulos im Mittelpunkt, die sich im Lauf der drei Stunden von einem jungen Mädchen zur selbstbewussten Frau entwickelt, nicht zuletzt durch Glück und Schmerz der ersten großen Liebe. Und vor allem darum geht es in „Blau ist eine warme Farbe“, einem Film, der es nicht verdient, auf ein paar Sexszenen reduziert zu werden.

Michael Meyns