88 – Pilgern auf japanisch

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Auf dem Jakobsweg erzählte eine Japanerin dem Regisseur Gerald Koll vom längsten Pilgerpfad der Welt, der 1.300 km lang an 88 Tempeln vorbei einmal rund um die japanische Insel Shikoku führt. Wenn man diesen Weg entlang wandere, erreiche man den magischen Zustand des Pilgerns "henro boke". Ohne Ortskenntnisse und ohne Japanisch zu sprechen macht sich Koll auf die Reise und nimmt seine Kamera mit. Entstanden ist dabei ein sympathischer Dokumentarfilm, der das Gefühl des Fremdsein und des gedanklichen Mäanderns auf so einer Reise einfängt, darüber hinaus aber wenig erzählt.

Webseite: www.salzgeber.de

Deutschland 2008
Regie, Buch, Produktion, Kamera, Ton: Gerald Koll
Schnitt, Postproduktion: René Perraudin
Länge: 88 Minuten
Verleih: Edition Salzgeber - digital!
Startermin: 13.11.2008 

PRESSESTIMMEN:

...auf film-zeit.de


FILMKRITIK:

Wie die meisten Pilger beginnt Koll seinen Weg an Tempel 1, wo er zunächst einmal beruhigt feststellt, dass auch die japanischen Pilger erst noch zu solchen werden müssen, indem sie sich entsprechend kleiden und den vorgeschriebenen Ritualen folgen. Das macht auch Koll. Im weißen Pilgerhemd und mit dem traditionellem Pilgerstab beginnt er die Pilgerreise rund um die Insel. Mechanisch befolgt er die vielen Vorschriften und murmelt die Sutren mit, die für Ihn als Ausländer und Nicht-Buddhisten zunächst einmal nichts bedeuten. "Learning bei Doing" ist sein Ansatz.  Erstmal mitmachen, der Weg zum Nirwana ergibt sich dann möglicherweise von selbst. Oder auch der Weg zu "henro boke". 

Koll's Understatement ist sympathisch. Er gibt nicht vor, Spezialwissen über den Buddhismus, Japan oder Shikoku zu besitzen, auch wenn er hier und da Geschichten und Informationen über den Ort und den Shingon Buddhismus der Insel einfließen lässt. Stattdessen dokumentiert er seine Rolle als Fremder, als Wanderer und als Nicht-Versteher. Er filmt oft aus dem Laufen heraus, sich selbst beim Wandern und auch, wie er nach der Aufnahme zurücklaufen muss, um die Kamera wieder einzusammeln. Er nimmt sich Zeit für umständliche Gespräche, aus Handzeichen, Gekicher und Wohlwollen, für eine Raupe am Wegrand und für die endlosen Betonstraßen die sein Weg entlang führt. Und immer wieder befragt er seine Mit-Pilger, was das eigentlich ist, „henro boke“.

Das Prinzip der Aneinanderreihung, der Gleichzeitigkeit von Wichtigem und Nebensächlichen, zieht sich auch durch die Kommentare. Koll macht sich Gedanken über das Lächeln der Fotografen, die Bedeutung eines finanziellen Engpasses, die Farbe der Autos (bevorzugt weiß) oder denkt über die Art von Gedanken nach, die er sich so macht. Das klingt dann zum Beispiel so: „Ich dachte, in meinem Kopf entstehen Romane. Wenigstens Absätze. Dann klammere ich mich an Halbsätze, schließlich Wörter, um sie bis zur nächsten Schreibpause vor dem Vergessen zu retten. Im Tagebuch steht dann zum Beispiel das japanische Wort für Rucksack: Ryuckusacko.“ 

Wie den Weg um die Insel, so hat Koll seinen Film in vier Kapitel unterteilt: Erwachen, Disziplin, Erleuchtung und Nirwana. Eine Bewusstseinsveränderung ist bei ihm selbst allerdings kaum zu bemerken. Die lakonische Haltung ist erfrischend, aber sie ist letzten Endes zuwenig, um den Film über 90 konzentrierte Kinominuten zu tragen. Zumal die Bilder es nicht recht schaffen, eine zusätzliche Ebene anzubieten. In einem Dokumentarfilm der davon handelt, wie es ist, viel zu sehen und wenig zu verstehen, wird die schlechte Bildqualität der kleinen digitalen Reisekamera zum Problem. Wenn Koll beispielsweise erzählt „Das Schönste an der Reise aber sind nicht Sutren oder Tempel. Es ist der Zauber der blauen Stunde am Morgen. Wenn die Welt die Luft anhält. Ich schaue dann dem Morgen beim Aufwachen zu. Wie ein heimlicher Geliebter, so ungefähr.“ dann lassen die darauf folgenden Aufnahmen vom frühen Morgen lediglich erahnen, wie schön das Licht gewesen sein muss. Zu Spüren ist das nicht.

Hendrike Bake

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Wenn vom Pilgern die Rede ist, dann kommt einem in erster Linie der Jakobsweg in den Sinn. Er scheint zur Zeit sehr en vogue zu sein. Es heißt, dass ihn jährlich 150.000 Wanderer begehen. Ob sie es alle aus religiösen Gründen tun, ist sehr die Frage. 

Kaum einer weiß, dass es in Japan einen Pilgerweg gibt, der seit nicht weniger als 1200 Jahren begangen wird. Er ist 1300 Kilometer lang und besteht in der Umrundung der „heiligen Insel“ Shikoku. Die Wallfahrt ist mit 88 Tempeln bestückt. Die Begehung des Weges ist eine lang andauernde Angelegenheit, denn jeweils sind Rituale zu vollziehen, die Zeit in Anspruch nehmen, von der Beschwerlichkeit des Wanderns und den Mängeln in den Unterkünften einmal ganz abgesehen. Viele Japaner aber machen es sich einfach: Sie umrunden die Insel ganz einfach mit dem Pkw oder im Bus – unter Einhaltung der einschlägigen Stationen natürlich.

Der deutsche Journalist Gerald Koll nahm es auf sich, die 1300 Kilometer zu Fuß zu durchwandern und an jedem Tempel Halt zu machen. Er war allein, hatte nur die Kamera bei sich, daher die manchmal unzulänglichen Filmaufnahmen. Die lange Wanderung war eine sportliche Leistung, die etwa sieben Wochen dauerte. Erschwerend kam hinzu, dass er weder japanisch sprach noch die oft versteckten Wegweiser entdeckte. Dass er sich immer wieder verirrte, war deshalb Teil des Programms. Die wenigsten Einheimischen, die er traf, verstanden ihrerseits Englisch, und so war die Ratlosigkeit perfekt. 

Doch es ging natürlich nicht nur um den gewissermaßen materiellen Teil Wanderung. Es ging auch um das Kennenlernen der Riten, die Meditation, um geistige Erkenntnisse und ihre journalistische Formulierung, um die mögliche Beantwortung von Existenzfragen – was in dem Film in vielfacher Weise und ausführlich zum Ausdruck kommt. 

Wer an alledem interessiert ist, für den kann dieser Dokumentarfilm durchaus etwas bringen.

Thomas Engel