Absurdistan

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Auch in seinem neuen Spielfilm lotet Veit Helmer (Tuvalu, Das Tor zum Himmel) die Grenzen von phantastischen Erzählungen und skurrilem Humor aus. Schauplatz ist ein abgelegenes Dorf, irgendwo zwischen Europa und Asien, in dem das Wasser knapp wird. Und solange die Männer dieses Problem nicht beheben, verweigern die Frauen ihnen jeglichen Sex. Fast komplett ohne Dialoge erzählt Helmer diese Geschichte, dafür mit viel Humor und schönen Bildern.

Webseite: www.farbfilm-verleih.de

Deutschland 2007
Regie: Veit Helmer
Buch: Veit Helmer, Gordan Mihic, Zaza Buadze, Ahmet Golbol
Kamera: George Beridze
Schnitt: Vincent Assmann
Musik: Shigeru Umebayashi, Lars Löhn
Darsteller: Maximilian Mauff, Kristyna Malerova, Nino Chkheidze, Ivane Ivantbelidze, Ani Amiridze
87 Minuten, Format: 1:1,85
Verleih: farbfilm verleih
Kinostart: 20. März 2008

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Die Inspiration für Veit Helmers neuen Film war eine wahre Geschichte, die sich vor ein paar Jahren in einem Dorf in der Türkei zugetragen hat. Dort verbannten die Frauen ihre Männer aus dem Schlafzimmer, weil diese nicht willens waren, dass marode Leitungssystem zu reparieren. Helmer verlegte diese Geschichte in ein Dorf in Aserbeidschan, das im Film allerdings den Namen Absurdistan trägt. Und wie der Name schon andeutet, hat man es hier mit einer Art Schilda zu tun, zumindest was die Männer angeht. Die sind in ihren Berufen als Tischler, Fleischer oder Bäcker eher minderbemittelt, so dass es die Frauen sind, die das Dorfleben rudimentär am Leben erhalten, während die Männer sich schon zum Trinken in der Kneipe treffen. Nur in einer Disziplin haben die Männer noch Qualität: Beim Liebe machen halten sie sich für unübertroffen. Und genau dies wird ihnen untersagt, nachdem die alte Trinkwasserleitung den Geist aufgegeben hat. Besonders tragisch ist dies für Aya (Kristyna Malerova) und ihren Freund Temelko (Maximilian Mauff). Die sind seit ihrer Kindheit unzertrennlich und fiebern ihrem ersten Mal entgegen. Das soll genau zu einer bestimmten Sternenkonstellation passieren, wie ihnen Ayas Großmutter (Nino Chkheidze) wahrsagt. Doch vorher müssen sie ein gemeinsames Bad nehmen. Ohne Wasser kein Sex also, was Temelko zu eifriger Arbeit animiert, um die Wasserleitung zu reparieren. Währenddessen sind die älteren Männer des Dorfes in den totalen Arbeitsstreik getreten und liefern sich mit ihren Frauen einen abwechslungsreichen Kampf um die Vorherrschaft im Dorf. Nicht weniger als die Herrschaft des Patriarchats steht auf dem Spiel.

Von Anfang etabliert Veit Helmer eine verspielte, skurrile Atmosphäre. Angebliche Dokumentaraufnahmen zeigen die Hintergründe des Dorfes, absurde Situationen und poetische Momente wechseln sich ab und das alles mit kaum einer Zeile Dialog. Dafür bedient sich der Film aber eines bisweilen ausufernden Voice Overs, der oft Dinge erklärt, die eigentlich schon durch die Bilder deutlich geworden sind. Denn die sind oft eher schlicht und wirken gehemmt. Manches Mal wünscht man sich, dass Helmer mehr Mut gehabt hätte, den Figuren und Situationen noch mehr Biss zu geben und eine wirklich absurde Welt zu schaffen. So bleibt die Geschichte oft etwas handzahm und lebt vor allem von den sympathischen Hauptdarstellern. Die stammen aus Deutschland und Tschechien, der Rest der Besetzung aus 14 anderen Ländern. Eine bunte Mischung, die man zwar nicht unbedingt als solche wahrnimmt, dem Film aber eine ganz eigene Note verleihen. Und nicht zuletzt das macht „Absurdistan“ trotz mancher Schwächen eben besonders: Die Lust auf andere Weise zu erzählen, sich von den gewöhnlichen „Regeln“ des Erzählkinos zu entfernen und eine ganz eigene, phantasievolle Welt entstehen zu lassen.
 

Michael Meyns

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Ein Dorf irgendwo zwischen dem tiefsten Asien und Europa. Zum Beispiel in Aserbaidschan. Dort leben Temelko und Aya. Sie lieben sich und wollen heiraten. Doch das können sie erst in drei Jahren, denn erst dann ist die Sternenkonstellation für sie günstig. Also warten. Temelko wird inzwischen in der Stadt studieren.

Das Dorf hat ein großes Problem. Das Wasser wird immer knapper. Als Temelko nach seiner Rückkehr als Vorbereitung für die erste Liebesnacht ein Bad für seine Liebste zubereiten will, versiegt der Brunnen ganz. Doch die Männer im Dorf, die lieber Tee oder Schnaps trinken und Backgammon spielen, scheinen nicht daran interessiert zu sein, die Wasserpumpen zum Laufen zu bringen.

Den Frauen wird das zu bunt. Sie treten in Streik, sie ziehen eine Grenze durch das Dorf zwischen den faulen Männern und den rebellierenden Gattinnen. Kein Wasser, kein Sex. Aya schlägt sich keineswegs auf die Seite ihres Temelko, sondern auf die ihrer Gesellinnen. Temelko bleibt nichts anderes übrig, als nach der Quelle, von der er gehört hat, zu suchen und in langer mühevoller Arbeit Wasser ins Dorf zu leiten.

Jetzt allerdings scheint das kostbare Nass im Überfluss zu strömen – so sehr, dass die Wasserstrahlen sogar Menschen in die Luft heben können. Was sollte nun einer Heirat noch im Wege stehen! 

Veit Helmer, sicherlich in vieler Hinsicht ein Einzelgänger und Original unter den Regisseuren, lässt sich für seine Filme Zeit. In annähernd 20 Ländern castete er die Schauspieler für „Absurdistan“, darunter Weißrussland, Moldawien, Lettland, Bulgarien oder Frankreich, Spanien, Portugal und andere. Die Idee zu seinem neuesten Werk entstammt einer türkischen Zeitungsmeldung, wonach ein solcher Streikfall tatsächlich vorkam. 

Die Handlung spielt sich in einer völlig imaginären Welt ab. Der Film ist exotisch, fremdartig, märchenhaft auch und bilderreich. Der Rhythmus ist sehr zerdehnt, das Milieu äußerst ausgefallen. Auf keinen Fall aber entbehrt der Film der Originalität. Womöglich spalten sich hier die Meinungen des Kinopublikums: Den einen liegt Helmers Sicht- und Vorgehensweise nicht, die anderen begeistern sich für solche Eigenart.

Visuell ziemlich phantasievolles, gut gespieltes, inszenatorisch intaktes Liebesmärchen, das aber wegen der extravaganten stilistischen Eigenheiten des Regisseurs Veit Helmer für manche sehr gewöhnungsbedürftig sein kann.

Thomas Engel