„#MeToo“, „Cancel Culture“, „DEI“, Schlagworte, auch Kampfbegriffe, zu denen wohl jeder eine Meinung hat, gewiss auch Luca Guadagnino, doch was genau der italienische Regisseur denkt, offenbart er in seinem neuen Film „After the Hunt“ nur bedingt. Und gerade darin liegt die Qualität eines psychologisch und moralisch komplexen Dramas, das viele Fragen aufwirft, ohne zu behaupten, genaue Antworten zu kennen.
Über den Film
Originaltitel
After the Hunt
Deutscher Titel
After the Hunt
Produktionsland
USA,ITA
Filmdauer
139 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Guadagnino, Luca
Verleih
Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH
Starttermin
16.10.2025
Herbst 2019, das Leben an der amerikanischen Eliteuniversität läuft ab wie seit Jahrzehnten, auch wenn der Elfenbeinturm ein paar Risse aufweist. Kluge, stets ein wenig zur Selbstgefälligkeit neigende Menschen diskutieren und trinken dabei erstaunlich viel Alkohol. Besonders Alma Olsson (Julia Roberts), Professorin für Philosophie, eine beeindruckende Persönlichkeit, verehrt und geliebt von ihrem Mann Frederik (Michael Stuhlbarg), passenderweise ein Psychologe, ihrem Kollegen Hank (Andrew Garfield), der keiner Frau begegnet, ohne einen Flirt zu versuchen, und ihrer Doktorandin Maggie (Ayo Edebiri), einer Feministin der jüngeren Generation.
Dazu eine Afro-Amerikanerin, die mit einer non-binären Person zusammen ist, was ihr in der aufgeheizten Stimmung der späten Zehner Jahre eine besondere Rolle verleiht, zumal sie aus gutem Haus stammt, ihre Eltern, wie es Hank einmal formuliert „Den halben Campus gespendet“ haben. Wird Maggie deswegen protegiert, gilt sie vor allem daher als brillante Studentin, weil ihre Eltern reich sind? Oder schont Alma Maggie sie vielleicht deswegen, weil sie demnächst zur Professorin auf Lebenszeit ernannt werden soll, ebenso wie Hank, ihr Freund, vielleicht auch einstiger Liebhaber, der aber auch Konkurrent ist?
Vielleicht sind es diese Fragen, die verhindern, dass Alma mitfühlend reagiert, als Maggie ihr am Tag nach einer Party berichtet, dass Hank übergriffig geworden sei, dass er eine Linie überschritten habe. Was genau denn passiert sei, will Alma wissen, und allein diese Frage empört Maggie zutiefst. Es ist schließlich 2019 und so erwartet Maggie einhindertprozentige Solidarität, gerade von einer Frau, die sie verehrt, in die sie möglicherweise auch verliebt ist. Doch so eine Solidarität, die vielleicht auch ein wenig unkritisch wäre, kann oder will Alma ihr nicht geben, zumal es ein Ereignis in ihrer Vergangenheit gibt, das ihren Blick auf sexuelle Übergriffe, auf Anschuldigungen, die kaum zu überprüfen sind, beeinflussen.
Nur sechs Jahre in der Vergangenheit spielt „After the Hunt“ und wirkt doch fast wie ein historischer Film. So rasant entwickelt sich die Diskussion über Cancel Culture oder Wokeness, über den Umgang mit Anschuldigungen, gerade wenn es um sexuelle Übergriffe geht, die notorisch schwer zu überprüfen sind. Aus diesem Stoff hat die Schauspielerin und Autorin Nora Garrett ein dichtes, komplexes Drehbuch geformt, das wie gemacht für die filmische Sensibilität von Luca Guadagnino wirkt. An Ambivalenzen ist der Italiener interessiert, an Geheimnissen, an der Komplexität menschlicher Beziehungen, die sich nicht immer klar zuordnen lassen. In Julia Roberts, die selten so gut war wie hier, hat er die ideale Schauspielerin in der zentralen Rolle besetzt. Lange Zeit spielt Roberts ihre Figur passiv, hält jede Gefühlsregung hinter einer unnahbaren Fassade verborgen, frisst alles in sich rein, wozu ein immer schlimmer werdendes Magengeschwür passt, das durch den in fast jeder Szene fließenden Alkohol noch verschlimmert wird.
Man könnte monieren, dass sich „After the Hunt“ einer klaren Haltung zu den moralischen Diskussionen der letzten Jahre entzieht, dass er keine klare Meinung zu Cancel Culture oder #metoo bezieht, man könnte aber genau das als seine größte Stärke betrachten. Keine Figur in diesem Drama ist am Ende wirklich Sympathieträger, weder der selbstgefällige Hank, noch der scheinbar perfekte Ehemann Frederik, weder die Studentin Maggie, die ihre scheinbare moralische Gewissheit zur Schau trägt und schon gar nicht die Professorin Alma, deren Fassade der Selbstgewissheit zunehmend Risse bekommt.
Ein kluger, vielschichtiger Film, der irritiert und Fragen aufwirft, über die nach dem Kinobesuch wunderbar und kontrovers diskutiert werden kann.
Michael Meyns