Alles was wir geben mussten

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Eine Welt, in der es Menschen gibt, deren einziger Zweck es ist, als Ersatzteillager zu dienen. In dieser dystopischen Parrallel-Gegenwart spielt Mark Romaneks mit Keira Knightley starbesetzter ethischer Science-Fiction Film, der eigentlich in jeder Hinsicht makellos ist, dem aber dennoch das fehlt, was die Romanvorlage Kazuo Ishiguros ausgezeichnet hat: Eine evokative zweite Ebene, die über die melancholische Grundstimmung hinausragt.

Webseite: www.foxfilm.de

OT: Never let me go
GB/ USA 2010
Regie: Mark Romanek
Drehbuch: Alex Garland, nach dem Roman von Kazuo Ishiguro
Darsteller: Carey Mulligan, Andrew Garfield, Keira Knightley, Charlotte Rampling, Sally Hawkins
Länge: 103 Min.
Verleih: Fox
Kinostart: 31. März 2011
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Bei Science Fiction denkt man gewöhnlich an futuristische Bauten, Roboter, Aliens und Sternenkriege. Science Fiction kann aber auch anders funktionieren. Das England, in dem „Alles, was wir geben mussten“ spielt, sieht nicht nur auf den ersten Blick genauso aus, wie man sich leicht versnobtes englisches Schul- und Landleben Ende des 20. Jahrhunderts vorstellt. Und auch die Schüler, die zunächst das Internat „Hailsham“ und später den Landwohnsitz „The Cottages“ bewohnen, wirken auf den ersten Blick ganz normal. Doch das Trio Kathy (Carey Mulligan), Tommy (Andrew Garfield) und Ruth (Keira Knightley) ist anders, sie sind Klone, die nur zu dem Zweck existieren, irgendwann ihre Organe zu spenden und spätestens bei der dritten oder vierten Transplantation ihr kurzes Leben zu „komplettieren.“ So wird der Tod in der verbrämten Sprache dieser Welt genannt, und doch ist der Zweck dieser Klone keineswegs ein Geheimnis.

Und das ist das besondere an der dystopischen Welt, die der englische Autor Kazuo Ishiguro in seinem Roman entwarf und die Mark Romanek nun kongenial fürs Kino adaptierte. Hier wird kein finsteres Geheimnis enthüllt, geht es nicht um den Sturz eines Unterdrückungssystems. Das System der Klone und Organspenden wird von den Protagonisten in keiner Weise in Frage gestellt oder gar bekämpft. Von Anfang an wissen sie von ihrem Schicksal und akzeptieren es. Was hier stattdessen versucht wird, ist deutlich anspruchsvoller als eine bloße Science-Fiction-Thriller-Geschichte, wie sie etwa der thematisch sehr verwandte Film „Die Insel“ erzählt. Man könnte sagen, dass es in „Alles, was wir geben mussten“ um nicht weniger als den Sinn des Lebens geht, um die Frage, was einen Menschen zu einem Menschen macht, ob es einen Unterschied zwischen einem „echten“ Menschen und einem Wesen gibt, das wie ein „echter“ Mensch wirkt, aber doch nur eine Kopie ist.

Diese Fragen werden weder im Roman noch im Film direkt angesprochen, sie werden angedeutet, sie schweben hinter der melancholischen, tragischen Grundstimmung, die beide Werke durchzieht. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Kathy, die seit ihrer Kindheit in Tommy verliebt ist, und mit Ruth befreundet ist. Doch die extrovertierte Ruth schnappte sich Tommy und realisiert erst spät, was sie Kathy damit genommen hat. Dieser Verlust, diese verpasste Liebe, die angesichts der Kürze des Lebens der Klone umso tragischer wirkt, ist der rote Faden des Films.

Im Gegensatz zur Romanvorlage schafft es die Verfilmung aber nicht wirklich, über diese vordergründige Erzählung hinauszugehen. Dabei ist „Alles, was wir geben mussten“ eigentlich in jeder Hinsicht außerordentlich: Die drei Hauptdarsteller sind so gut wie nie und passen perfekt zu ihren jeweiligen Typen, die auf so unterschiedliche Weise mit ihrem Schicksal umgehen. Die Bilder sind makellos, von herbstlichen Brauntönen durchzogen, die Musik pathetisch, aber nicht übertrieben, und doch fehlt etwas. Es mag daran liegen, dass das Kino im Gegensatz zu einem Roman viel direkter, viel unmittelbarer ist; dass die Subtilität, die dem Leser eines Romans die Gelegenheit gibt über die bloßen Worte des Textes hinauszugehen, im Kino viel schwieriger zu erreichen ist. Während der Roman gerade durch seine Auslassungen, durch sein Nichterklären der Umstände eine außerordentliche Emotionalität entwickelt, macht die Verfilmung mit den Methoden des Kinos zwar eigentlich genau das Gleiche, bleibt aber doch merkwürdig kalt. Und so ist „Alles, was wir geben mussten“ das seltene Beispiel eines Films, der eigentlich nichts falsch macht und sich trotz seiner vielen Qualitäten nicht ganz richtig anfühlt.

Michael Meyns

Nach dem gleichnamigen erfolgreichen Roman des Japaners Kazuo Ishiguro.

England in den 70er, 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. In einem nobel erscheinenden Internat gehen Kinder zur Schule unter ihnen Kathy, Tommy und Ruth. Doch ihnen haftet etwas Besonderes an. Sie sind nämlich keine normalen Menschen sondern so etwas wie Klone. Aufgezogen werden sie nur deshalb, um im Erwachsenenalter Organe zu spenden und dann zu sterben. Die Angelegenheit heißt auch nicht sterben sondern „vollenden“. Das Ganze ist geheim, wird den Kindern vorenthalten. Eine der Erzieherinnen, die vor den Schülern eine falsche Andeutung macht, wird sofort entlassen.

Zehn Jahre später. Kathy, Tommy und Ruth sind erwachsen. Sie werden von der Schule in ein Dorf gebracht. Sie wissen jetzt, wie es um sie steht. Ob sie von den „normalen“ Menschen als etwas Besonderes, als Klone erkannt werden, können sie nicht genau feststellen.

Von Freunden erfahren sie, dass es eine Möglichkeit gibt, das Leben zu verlängern: Entweder sie werden Fürsorger für Nachfolger von ihnen oder sie verlieben sich. Wenn es sich um wahre Liebe handelt, gilt die „Vollendung“ nicht.

Aber da gibt es ein Problem. Ruth macht sich an Tommy heran, obwohl das eigentliche Liebespaar Kathy und Tommy wäre. Eine Zeitlang funktioniert das als ménage à trois.

Das Gerede und die Gerüchte um den Aufschub für die „Vollendung“ erweisen sich als unrichtig. Das Ende ist traurig.

Es ist etwas Sonderbares um diesen Film. Die einen loben ihn in den Himmel, die anderen halten ihn für Stückwerk. Tatsächlich taucht eine Menge Fragen auf: Warum sind zum Beispiel keine Wissenschaftler am Werk, sondern nur ältliche Erzieherinnen? Warum entfliehen Tommy, Kathy und Ruth nicht ihrem Schicksal, denn sie sind sich ihrer Situation ja bewusst und fahren sowieso völlig frei in der Gegend herum? Ist das Ganze nur als Metapher zu verstehen? Aber für was? Ein amerikanischer Rezensent glaubt die Lösung gefunden zu haben: als Metapher für „eine Generation von Kindern, die von ihren karrierebesessenen, geschiedenen Eltern weitgehend allein gelassen werden, die nicht mehr ahnen, was Eltern oder Geschwister sind, was ein Heim bedeutet und die nicht wissen, ob sie selbst einmal Eltern werden“.

Einsichtig ist, dass man den Film als Symbol und nicht als Realität versteht. Nicht wenige halten auch den zugrunde liegenden Roman für wirkungsvoller als den Film – wohl eine Sache des Drehbuches.

Sehr gut sieht es indessen mit der Gestaltung durch Regisseur Mark Romanek aus. Der altmodische Stil, die dem Thema angemessene ziemlich düstere Atmosphäre, die ästhetische Kameraarbeit, die sensibel empfundene Liebesgeschichte, die oft spürbare traurige Todesvorahnung, das exzellente Spiel der Beteiligten, das alles ist schon beachtenswert.

Carey Mulligan als stille aber anziehende Kathy, Andrew Garfield als scheuer, traumatisch belasteter, unsicherer, dann aber die Liebe zu Kathy bekennender Tommy, Keira Knightly als verzweifelnd Tommys Zuneigung suchende Ruth oder Charlotte Rampling als konzessionslose Internatsdirektorin, sie machen ihre Sache wirklich sehr gut.

Thomas Engel