Lied in mir, Das

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Mit dem bewegenden preis gekröntem Drama „Das Lied in mir“ konfrontiert der 31jährige Absolvent der Ludwigsburger Filmakademie Florian Cossen die Zuschauer mit den Opfern der argentinischen Militärdiktatur. Im Mittelpunkt seines einfühlsam inszenierten Debutfilms steht dabei die Frage nach Herkunft, Identitätsverlust und die Last von Lügen und verdrängten Familiengeheimnissen. Berührend kämpft die inzwischen gefragte Charakterdarstellerin Jessica Schwarz in diesem Vater-Tochter-Konflikt gegen ihren Adoptivvater, um die Mauer des Schweigens zum Einsturz zu bringen.

Webseite: www.schwarzweiss-filmverleih.de

Deutschland/Argentinien 2009
Regie: Florian Cossen
Darsteller: Jessica Schwarz, Michael Gwisdek, Rafael Ferro, Carlos Portaluppi, Marcela Ferrari, Beatriz Spelzini
Drehbuch: Elena von Saucken, Florian Cossen
Kamera: Mathias Fleischer
Länge: 92 Minuten
Verleih: Schwarz-Weiss Filmverleih
Kinostart: 10. Februar 2011

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Buenos Aires, Königin am Rio De la Plata. Die betäubende Intensität der kosmopolitischen Metropole betört. Für die deutsche Leistungsschwimmerin Maria Falkenmeyer (Jessica Schwarz) ist die Stadt der Einwanderer, Refugium jüdischer Überlebender aus dem Dritten Reich ebenso wie Endstation von Nazischergen wie Eichmann und Mengele, eigentlich nur eine Zwischenstation auf dem Weg zum nächsten Wettbewerb in Santiago de Chile. Doch auf dem Flughafen löst ein spanisches Kinderlied, mit dem eine argentinische Mutter ihr Baby in den Schlaf wiegt, bei der 31jährigen ein Trauma aus. Obwohl sie kein Spanisch spricht und nie in Lateinamerika war, sind ihr die Worte und die Melodie vertraut.

Schweißgebadet hetzt sie durch den Transitbereich, verpasst ihren Anschlussflug und verliert ihren Pass. Gestrandet in der fremden Stadt ruft die junge Frau verzweifelt ihren Vater Anton (Michael Gwidesk) an, um ihm von ihrem Missgeschick und den verwirrenden Erinnerungen zu erzählen. Zutiefst beunruhigt taucht der ehemalige Geschäftsmann wenig später plötzlich in ihrem Hotel auf. Grund: Seine Furcht vor einem dunklen Familiengeheimnis. Nur zögernd beichtet er seiner Adoptivtochter die Wahrheit. Maria verbrachte ihre ersten Lebensjahre in Buenos Aires. Ihre leiblichen Eltern zählen zu den Opfern der argentinischen Militärdiktatur Ende der Siebziger Jahre.

Sie wurden vom Militär verschleppt und in geheimen Gefängnissen zu Tode gefoltert. Insgesamt sind in den sieben Jahren der Junta rund 30 000 Menschen „verschwunden“. Die Kinder dieser „Verschwundenen“ wurden oftmals illegal von Familien der Militärs adoptiert. Ihre leiblichen Verwandten lernten sie nie kennen. Nur ein Bruchteil der vermissten Kinder hat bislang zu ihren wirklichen Familien zurückgefunden. Zweifellos eine der düstersten Zeiten, die das südamerikanische Land durchmachen musste.
Und so treibt Maria die Frage nach ihrer Herkunft nach dem Geständnis ihres Ziehvaters um. An der jahrzehntelangen Lüge droht das Vertrauensverhältnis der beiden zu zerbrechen. Aus Angst seine Adoptivtochter zu verlieren möchte Fabrikmanager Anton Falkenmeyer die Vergangenheit ruhen lassen. Während Maria hartnäckig um den Schlüssel zu ihrer eigentlichen Identität ringt und sich trotz zwiespältiger Gefühle entschlossen auf die Suche nach ihren Angehörigen macht.

Mit Hilfe des deutsch sprechenden Polizisten Alejandro (Rafael Ferro) nimmt sie Kontakt mit ihrer Patentante Estela (Beatriz Spelzini) auf. Dort findet sie spontan Liebe und Zuneigung. Die Schwester ihrer verschleppten Mutter zeigt ihr erstmals Fotos ihrer leiblichen Eltern. Estela und ihre Familie können Marias Zwangsadoption noch nach fast drei Jahrzehnten nicht akzeptieren. Sie sprechen von Diebstahl. Schließlich ist auch dreißig Jahre nach dem Militärputsch die Auseinandersetzung mit den Verantwortlichen und Nutznießern der argentinischen Militärdiktatur noch lange nicht abgeschlossen.

Trotz des übersichtlichen Plots fällt es Jungregisseur Florian Cossen nicht schwer, die Zuschauer für sein psychologisches Drama und seine Figuren einzunehmen. Sein Auslandssemester vor drei Jahren an der Universidad del Cine in Buenos Aires inspirierte den Absolvent der Ludwigsburger Filmakademie zu dem Projekt. Zum einen baut der 31jährige Diplomatensohn geschickt Nebenhandlungen ein, wie zum Beispiel den jungen deutschsprechenden Polizisten Alejandro, den Maria im Verlauf ihrer teils schmerzhaften Entdeckungsreise zu sich selbst kennen und lieben lernt. Zum anderen unterstützt sein Kameramann die klassische Erzählstruktur seines Low-Budget Films durch intensive Großaufnahmen und überraschende Perspektiven, um Nähe und eine dichte Atmosphäre herzustellen.

Zudem verleiht Jessica Schwarz, die nicht erst seit ihrer Rolle als Romy Schneider zur gefragten Charakterdarstellerin avancierte, ihrer Figur eine außerordentlich glaubwürdige Präsenz. Die 33jährige war in ihrer Kindheit selbst Profi-Schwimmerin. Erneut stellt das ehemalige Model in dem stilistisch verblüffend ausgereiftem Debütfilm ihr schauspielerisches Talent unter Beweis. Last but not least überzeugt auch Ernst-Lubitsch-Preisträger Michael Gwisdek in seiner Rolle als ihr verunsicherter Ziehvater. Für berührend, authentische Momente sorgt freilich vor allem auch die Crew der argentinischen Schauspieler.

Luitgard Koch

Die junge Maria ist auf dem Flug nach Chile. In Buenos Aires landet sie zwischen. Da hört sie eine Mutter neben ihr ihrem Kind ein Lied singen. Das Lied kennt sie. Wieso? Maria erinnert sich, dass es ihr als ganz kleines Mädchen vorgesungen wurde. Ein argentinisches Kinderlied einer deutschen Vier-, Fünfjährigen?

Ihr Vater Anton in Deutschland merkt bei einem Telefongespräch, dass in Maria etwas vorgeht. Sofort reist er seiner Tochter nach. Vor 30 Jahren war Anton selbst bei einer dortigen Firma für deutsche Belange beschäftigt gewesen.

Hatte er etwas mit der damaligen Militärjunta zu tun, die Marias Eltern verhaftete und verschwinden ließ? Haben Marias „Vater“ und „Mutter“ das Kind adoptiert oder sogar illegal an sich gebracht und entführt?

Zwischen Maria und dem Vater entbrennt in Buenos Aires ein Kampf: um die Liebe zur Tochter und die Angst, sie zu verlieren; um die Suche des Kindes nach seiner möglichen ursprünglichen Familie; um die richtige Entscheidung über Marias Verbleib; um die eventuelle Schuld des Vaters – politisch wie menschlich; um die Haltung von Marias vermutlich wirklichen Verwandten.

Ein Drama, der diktatorischen Politik entsprungen. Thematisiert sind die Verbrechen der Militärs, die wahrscheinliche Schuld des Vaters, die Enttäuschung und Erschütterung Marias, der damalige tragische Verlust ihrer Eltern, die mögliche Klageerhebung gegen den Vater – und auch die Freude der „Blutsverwandten“ über die Rückkehr der Verlorenen.

Einzeln vertieft werden konnten diese vielen Probleme nicht. Aber sie klingen an: in der Suche Marias, in der Verzweiflung des Vaters, in der Schilderung der Gefühle (und des Milieus) der „neuen“ Familie.

Gut, dass zwei differenziert und intensiv agierende Schauspieler das Drama glaubhaft machen: Jessica Schwarz als Maria und Michael Gwisdek als Vater Anton.

Thomas Engel