Animals

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Im Mittelpunkt von „Animals“ steht ein homophober Mord, der vor gut zehn Jahren Belgien erschütterte. Mit absoluter Schonungslosigkeit schildert Regisseur Nabil Ben Yadir die Tat, mutet dem Zuschauer viel, vielleicht auch zu viel zu, erzählt davor und danach von den Strukturen der belgischen Gesellschaft. Ein harter, starker, schwer zu ertragender Film.

Belgien 2021
Regie: Nabil Ben Yadir
Buch: Nabil Ben Yadir & Antoine Cuypers
Darsteller: Soufiane Chilah, Gianni Guettaf, Serkan Sancak, Lionel Maisin, Camille Freychet, Vincent Overath, Salim Talbi

Länge: 91 Minuten
Verleih: drop-out Cinema
Kinostart: 23. Juni 2022

FILMKRITIK:

2012 wurde der damals 32jährige Muslim Ihsane Jarfi in seiner Heimatstadt Lüttich ermordet.  Nach einem Clubbesuch war er verschwunden, zwei Wochen später wurde seine nackte, mit Verletzungen übersäte Leiche gefunden. Auch aufgrund ihrer Handydaten wurden die vier Täter schnell gefunden und hart bestraft: Drei von ihnen erhielten lebenslänglich, einer, der behauptete, kaum beteiligt gewesen zu sein, 40 Jahre. Es war das erste Urteil dieser Art in Belgien, bei dem der homophobe Hintergrund der Tat als strafverschärfend betrachtet wurde.

In seiner Verfilmung dieses Verbrechens geht Regisseur und Co-Autor Nabil Ben Yadir einen ungewöhnlichen Weg, der den Zuschauer nicht nur mit dem Schicksal des Opfers konfrontiert, sondern auch die Perspektive eines der Tätern aufzwingt. Im ersten Drittel mutet „Animals“ wie ein Film der Dardenne-Brüder an: Mit mobiler Handkamera, eingeengt durch das klassische 4:3-Bildformat wird die Hauptfigur gezeigt, der knapp 30jährige Brahim (Soufiane Chilah), der am Hochzeitstag seiner Eltern im Haus aushilft. Brahim scheint beliebt, das Verhältnis zu den Eltern gut, allein das er in seinem Alter noch nicht verheiratet ist sorgt für mal belustigtes, mal irritiertes Stirnrunzeln. Und nach und nach kommt die Wahrheit heraus: Brahim ist schwul, hat seit längerer Zeit einen Freund, aber seinen muslimischen Eltern und Verwandten kann er die Wahrheit nicht sagen, auch wenn manche es zu ahnen scheinen.

Wie sehr Brahim die Situation belastet wird deutlich, als er die Feier abrupt verlässt und zum Tanzen in einen Club geht, einen schwulen Club, vor dem er später seine Mörder treffen wird. Warum er in ihr Auto steigt, warum er ihnen offen sagt, dass er schwul ist, auch wenn sie ihre Homophobie nicht verbergen bleibt offen, vielleicht geschah es im Affekt, im Wunsch, sich endlich nicht mehr zu verstecken. So oder so: Nichts rechtfertigt was im Anschluss passiert, was Ben Yadir in einer nur schwer zu ertragenden Sequenz zeigt. Auf einem Feld ziehen die Täter Brahim aus, peinigen und erniedrigen ihn und filmen ihre Tat mit dem Handy. Noch kleiner wird hier das Bildformat, schrumpft auf Handygröße zusammen, der den Mord in den Augen der Täter zu einem lustigen Filmchen werden lässt.

Ein Perspektivwechsel, der im dritten Teil des Films fortgeführt wird, der dem ersten spiegelbildlich gegenüber gestellt wird: Nun ist es einer der Täter, dem die Kamera folgt, einem jungen Mann, der von seinen Freunden und zu Hause selbst unterdrückt wird. Keinerlei Rechtfertigung für seine Beteiligung an der Tag wird suggeriert, vielmehr werden Muster aufgezeigt, gesellschaftliche Strukturen, die Gewalt und Hass säen. Ohne kathartischen Moment lässt Nabil Ben Yadir seinen Film enden, ohne versöhnliches Ende. „Animals“ zeigt einen Teil der belgischen Gesellschaft, zeigt die Strukturen auf, in der Wut und Homophobie sich entwickeln und zu einem grausamen Verbrechen führen können. Ein eindringlicher, teilweise nur schwer zu ertragender Film, der bis an die Grenzen des Zeigbaren geht.

 

Michael Meyns