Baaria

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Oscarpreisträger Giuseppe Tornatore gelingt mit seinem Generationenepos eine bewegende Hommage an seine sizilianische Heimat. Seine nostalgische, liebevolle Erinnerung an die Geschichte seiner eigenen Familie gleicht einem Sittengemälde des 20. Jahrhunderts. Die poetisch-sinnliche Reise des Regisseurs von Cinema Paradiso begeistert nicht zuletzt durch seine grandiosen Landschaftsaufnahmen, untermalt vom kongenialen Score des legendären Meisterkomponisten Ennio Morricone.

Webseite: www.baaria.de

Italien 2009
Regie und Buch: Giuseppe Tornatore
Kamera: Enrico Lucidi
Darsteller: Francesco Scianna, Margareth Madè, Angela Molina, Michele Placido, Raoul Bova, Gaetano Aronica, Monica Bellucci
Länge: 150 Minuten
Verleih: Tobis Film
Kinostart: 29. April 2010
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Hundertfünfzig Minuten schwelgen der renommierte italienische Regiemeister Giuseppe Tornatore und sein Hauskomponist Ennio Morricone mit elegischer Orchestermusik in verführerischer Nostalgie. Dieses große Epos über ein halbes Jahrhundert wildbewegter italienischer Geschichte fasziniert vor allem durch seine suggestiven Bilder der sizilianischen Landschaft und Architektur. Seine Ode an die sizilianische Stadt Bagheria, die Tonnatore entlang der Familien-Chronik des einfachen Schafhirten Ciccio (Gaitano Aronica) entwirft, führt mit sinnlich poetischen Bildern durch das 20.Jahrhundert.

Der Titel seines opulenten Sittengemäldes ist der sizilianische Dialektname des Städtchens Bagheria in der Provinz Palermo. Es ist aber auch wie nicht selten bei dem 53jährigen die Beschwörungsformel für jenes Paradies der Erinnerung, in dem schon „Cinema Paradiso“ spielte. Über drei Generationen einer Dorfgemeinschaft spannt der leidenschaftliche Cineaist Tornatore seine dezidiert autobiografische Geschichte, die gleichzeitig das Porträt seiner Geburtsstadt ist, zwischen den dreißiger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Der ehemalige Dokumentarfilmer erzählt das Leben des Peppone Torrenuovo (Francesco Scianna), der zu Mussolinis Zeiten die Schulbank drückt und als junger Mann der kommunistischen Partei Italiens beitritt, um soziale Gerechtigkeit für die Landarbeiter zu erkämpfen. Die politischen Kämpfe freilich, zwischen Kommunisten auf der einen und den Grundbesitzern und der Mafia auf der anderen Seite, werden eher angedeutet als ausgefochten. Das Ende des Films zeigt einen zufriedenen 60-Jährigen, der es nie zu Reichtum, aber zu vier Kindern, einer ebenso schönen wie treuen Ehefrau (Margareth Madè) samt einer bescheidenen politischen Karriere brachte.

Gleich zu Beginn saust die Kamera mit einem um Zigaretten laufenden Jungen die Straße entlang, bevor sie sich magisch in die Lüfte erhebt. Durch einen stilistischen Kunstgriff des renommierten Regisseurs, einen elliptischen Erzählbogen, gerät Peppone in die merkwürdige Situation, als kleiner Junge seinem eigenen kleinen Sohn Pietro (Giuseppe Garufi) zu begegnen. Grund: Der Junge verschläft in der Schule nicht nur den Gong, sondern gleich ganze Jahrzehnte. Beide jagen sie jetzt aneinander vorbei. Der Kreis schließt sich. Und wie die Kinder einander im Kreislauf der Zeiten ablösen, so sitzt auch die nächste Generation Männer scheinbar ewig beim Kartenspiel, demonstriert gegen die Ausbeutung oder aber küsst dem Don des Ortes Bagheria immer noch den Ring.

Und am Ende sieht Baaria fast aus wie eine moderne Stadt. Doch ob dieser Aufbruch in die Zukunft im Besseren mündet bleibt offen. Trotz kräftiger Seitenhieben gegen die Verschandelung durch korrupte Stadtplanung: Der oberste Stadtplaner ist im Film blind und wird von Investoren bestochen. Denn schließlich huldigen Tornatores Filme in erster Linie dem Kino und sind nostalgische Verklärungen einer poetisch heraufbeschworenen Vergangenheit, von der er leicht melancholisch Abschied nimmt.

Sein schweifende Blick verrät jedoch durchaus akribische Inszenierung. Immer wieder gibt es die Schwenks der Kamera über die Landschaft und das Dorf mit seinen adligen Landhäusern aus dem 18. Jahrhundert, darunter die noble Villa Palagonia mit ihren bizarren Skulpturen. Bekannt als Landhaus der Ungeheuer. Ein Kamerablick, der sucht, als wollte er nur konstatieren, aber nicht behaupten. Auch seine Darsteller filmt Tornatore auf ähnliche Weise: fast als wären sie Teil einer Landschaft. Magischer Realismus, Schelmenstück und Politchronik mischen sich gekonnt bei der weitverzweigten Handlung.

„Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele“, wusste schon Goethe, „hier ist der Schlüssel zu allem“. Um Zugang zur geschundenen Seele Siziliens und seiner Menschen zu finden, bietet Tornatore, der sich als Traditionalist in der in der Nachfolge der italienischen Neorealisten versteht, mit seinem pittoresken Bilderbogen einen wunderbaren Anfang. Erzählte doch auch Bernando Bertolucci einst in seinem imposanten Monumentalfilm „1900“ die Geschichte der Emilia Romagna, seiner Heimat. Sein Hohelied auf die bäuerliche Schicht und auf den Kommunismus hatte damals freilich zwei Teile. Vielleicht wäre dieser lange Atem eines klassischen Formats auch Tornatores liebevoller Sozialepik und seinem stillen Pathos noch mehr gerecht geworden.

Luitgard Koch

Der Film dauert 150 Minuten und umfasst mit seiner Handlung mehrere Jahrzehnte. Er hat als Hauptstrang die Lebensgeschichte von Peppino, aber das Ganze ist mehr: eine Art Sozial-, Sitten- und Zeitgeschichte Siziliens etwa zwischen 1930 und 1960 mit unzähligen Schauplätzen, Massenauftritten, Kammerspielszenen und Spots auf Einzelcharaktere.

Peppino ist schon als Kind Schafhirte. Später lehnt er sich mit vielen anderen Sizilianern, die Land erwerben wollen, gegen die Großgrundbesitzer auf. Er wird Mitglied und dann Funktionär der Kommunistischen Partei. Er liebt die schöne Mannina gegen den Widerstand von deren Eltern, die für ihre Tochter keinen Kommunisten wollen. Und er bringt es schließlich auch politisch zu etwas.

Dem Regisseur Giuseppe Tornatore ging es im Wesentlichen um eine Hommage an seine Heimat. Kein Geringerer als Ennio Morricone lieferte die Kompositionen zu diesem Opus Magnum. Der Chefausstatter war Mauricio Sabatini. Was er auf die Beine zu stellen hatte, war gewaltig.

Ein paar hundert Meter Baarioter Straße stellen hier die ganze Welt dar. Am Anfang ist sie nur eine bessere Dorfstraße. Nach ein paar Jahrzehnten fasst sie den Verkehr kaum mehr. Dazwischen entwickeln sich die Zeit, die Menschen, die Dinge, die Einzelschicksale, die Politik, die Situationen und Szenen. Das meiste zieht an dem kleinen Peppino in einem Traum vorüber.

Manchmal ist es fast ein wenig zuviel des Guten, ein paar Kürzungen hätten, mit Verlaub, nicht geschadet. Aber insgesamt ist Tornatores Film sicher ein authentischer Ausdruck der sizilianischen Wurzeln, der Geschichte und des Wesens dieses Landes mit vielen autobiographischen Andeutungen. Mitarbeiter rühmen die Fähigkeit des Regisseurs, gleichzeitig einen Sinn für große Inszenierungen und einen außerordentlichen Blick für Details zu besitzen. Das bestätigt sich hier.

Schauspieler treten ein paar Dutzend auf. Sie wurden von Tornatore vorzüglich geführt. Den Darsteller des Peppino allerdings (Francesco Scianna) hätte man sich spielerisch noch stärker gewünscht.

Thomas Engel