Bal – Honig

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Boras Altas stahl während der Berlinale 2010 manchem Star die Show. Wie der Junge auf dem Podium die Fragen der Journalisten beantwortete, war herzerfrischend. Aufgeweckt, neugierig, ein bisschen staunend – genau wie im Film „Bal“ („Honig“), in dem Altas den Sohn eines Imkers spielt, der die Schönheit und die Schrecken der Kindheit erlebt. Semih Kaplanoðlu, der mit „Bal“ in Berlin den Goldenen Bären gewann, bettet das kindliche Erwachen souverän in den wogenden Rhythmus einer anatolischen Waldlandschaft ein.

Webseite: www.pifflmedien.de

Türkei 2010
Regie: Semih Kaplanoðlu
Buch: Semih Kaplanoðlu, Orcun Köksal
Kamera: Baris Özbicer
Darsteller: Boras Altas, Erdal Besikcioglu, Tülin Özen, Alev Ucarer, Ayse Altay
Filmlänge: 108 Minuten
Verleih: Piffl Medien
Kinostart: 9. September 2010
 

PRESSESTIMMEN:

Der Film von Semih Kaplanoglu, der im Februar in Berlin als Gewinner des Goldenen Bären gefeiert wurde, macht das Archaische nicht idyllisch; er ist herb, doch er verzaubert durch seine Kunst, mit den zartesten Mitteln Auge und Ohr für die Weltwahrnehmung eines Kindes zu öffnen.
Der Spiegel

Wenige Worte, zum Sterben schöne Bilder, vollendetes Kino. Der würdige Gewinner der diesjährigen Berlinale (2010).
KulturSPIEGEL

FILMKRITIK:

Die Menschen leben im Einklang mit der Natur in Kaplanoðlus Film. Es ist nicht die anatolische Steppe, sondern die wenig bekannte Bergregion in der Nähe des Schwarzen Meeres, in der er seine Geschichte ansiedelt. Alles, was die Menschen brauchen, bekommen sie von der Natur. Der Honig ist deren süßestes Erzeugnis. Schnell wird ein Film, der mit solchen Metaphern arbeitet, selbst allzu süßlich. Dem türkischen Regisseur und seinem ausgezeichneten Kameramann gelingt jedoch eine Bildsprache jenseits von Öko-Romantik und abgegriffener Allegorien. Man sieht natürlich auch die Zerbrechlichkeit dieses entlegenen Biotops und der Lebensweise derer, die dort ihr Auskommen finden. Doch in erster Linie findet man hier einen unverstellten Blick auf alles Kreatürliche: das Majestätische der Bäume, die Farben der Pflanzen, das wechselnde Licht, das Atmen des Waldes. Und die allgegenwärtigen Geräusche, die anstelle einer Filmmusik ein Naturkonzert liefern.

Man kann angesichts dieser Bilder wieder staunen lernen, so wie es der kleine Yusuf (Boras Altas) tut, für den der Wald wie das Leben noch viele Geheimnisse birgt. Es sind nicht nur schöne Geheimnisse. Yusufs Vater Yakub (Erdal Besikcioglu), ein Imker, dringt immer tiefer in den Wald ein, um seine Bienen zu schützen, da sich eine rätselhafte Krankheit in der Gegend ausbreitet – auch das ist Natur. Er hängt die Körbe in den Baumwipfeln auf, eine gefährliche Arbeit und ein ständiger Grund zur Sorge für seine Frau Zehra (Tülin Özen). Als ihr Mann einmal nicht zur vereinbarten Zeit aus dem Wald zurückkehrt, kommen Befürchtungen bei ihr auf. Sie beruhigt ihren sechsjährigen Sohn, der aber spürt, dass seinem Vater, dem er in tiefer Bewunderung zugetan ist, etwas passiert sein könnte. Er hört auf, mit seiner Mutter zu sprechen. Ein Verstummen, das mit seiner Angst zu tun hat, aber auch mit den Anforderungen der Schule, denen er nicht genügt. Zu Hause kann er seinem Vater stolz ein Gedicht vortragen, in der Schule stottert er jedoch, wenn er vorlesen soll. Der Junge zögert mit dem Entwicklungsschritt, der seine unmittelbare, eben natürliche Welterfahrung durch Sprache und Schrift ergänzt.

Das ist ein erstaunliches Detail, denn aus Kaplanoðlus rückwärts erzählter Film-Trilogie, die mit „Bal“ endet, weiß man, dass aus Yusuf ein Dichter wird. Es gibt in dem Film weitere Verweise auf die beiden anderen Teile, aber man kann ihn auch ohne deren Kenntnis schauen, da er in sich geschlossen ist. Der Regisseur erzählt aus der Kinderperspektive, weshalb manches in der Geschichte rätselhaft und verborgen bleibt, so wie einem kleinen Jungen eben manche Dinge unverständlich sind. Auch auf der Zeitschiene passt er sich dem gedehnten Empfinden eines Kindes an, das in eins fällt mit dem Rhythmus seiner Umgebung – die Natur hat Zeit. „Bal“ ist ein meditativer Film, der Augenblicke immer wieder langsam gerinnen lässt. Wer sich darauf einlässt, gleitet in den ruhigen Strom der Natur und kindlichen Magie mit ihren sowohl berückenden und tröstenden als auch bedrohlichen Ausprägungen.

Volker Mazassek

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