Besucher, Der

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Die Wortkargheit der Nordländer ist mehr als ein Klischee. Im Kino hat der Finne Aki Kaurismäki seinen Landsleuten und ihrer spröden, gleichwohl liebenswerten Art ein Denkmal gesetzt. Auch Jukka-Pekka Vakeapää übt sich in seinem visuell beeindruckenden Spielfilmdebüt in der Kunst der Entsagung. Anders als Kaurismäki betont er in dem Vierpersonenstück „Der Besucher“ jedoch eine theaterhafte Inszenierung, surreale Momente und die Zweideutigkeit der Erzählperspektive.

Webseite: www.farbfilm-verleih.de

OT: Muukalainen
Finnland 2008
Regie: Jukka-Pekka Vakeapää
Drehbuch: Jukka-Pekka Vakeapää, Jan Forsström
Darsteller: Vitali Bobrov, Emilia Ikäheimo, Pavel Liska, Jorma Tommila
Laufzeit 99 Minuten
Kinostart: 5.11.2009
Verleih: farbfilm verleih (via Barnsteiner)
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Wenn in einem Film kaum ein Wort gewechselt und eigentlich nie ein wirklicher Dialog stattfindet, dann verleiht das dem wenigen, was gesagt wird, besonderes Gewicht. Der finnische Regisseur Jukka-Pekka Vakeapää treibt die von seinem Landsmann Kaurismäki bekannte, scheinbar typisch nordische Wortkargheit auf die Spitze. Sein Spielfilmdebüt „Der Besucher“ lässt eine geschätzte Viertelstunde verstreichen, bis ein erster Satz fällt. Und selbst dann, übt sich sein Film noch in Zurückhaltung. Wäre da nicht das ausgeklügelte, markante Sound-Design, man könnte bisweilen den Eindruck bekommen, einen Stummfilm mitanzusehen.

In der Abgeschiedenheit der finnischen Wälder lebt ein in etwa zehnjähriger Junge (Vitali Bobrov) mit seiner Mutter (Emilia Ikäheimo) auf einem kleinen Hof. Obwohl der Junge lediglich stumm und nicht taub ist, wechselt seine Mutter mit ihm nur selten ein Wort. Der Alltag wird von einfachen, körperlich meist harten Arbeiten bestimmt. Im Sommer gilt es, das Feld zu bestellen, im Winter muss Holz für den Ofen gesammelt werden. Der Vater (Jorma Tommila) des Jungen sitzt derweil im Gefängnis. Warum und weshalb, auch darüber schweigt sich Vakeapääs Film wie über so vieles andere aus. Die Ordnung dieser überschaubaren Welt scheint bedroht, als plötzlich ein Fremder (Pavel Liska) auf dem Hof auftaucht und mit ihm eine Reihe von Problemen.

Die Geschichte, die Vakeapää erzählt, ist eigentlich so einfach und klar wie die finnische Landschaft, in der sie spielt. Die Betonung liegt hierbei auf „eigentlich“, denn mit seiner symbolträchtigen Bildsprache, der dem Theater entlehnten, elliptischen Handlung und einer gerade zum Ende hin immer bruchstückhafteren Narration widersetzt er sich bewusst der gängigen Dramaturgie des Mediums Film und den Sehgewohnheiten der meisten Zuschauer. An die Stelle einer plausiblen, kohärenten Erzählung tritt ein Fragment aus surrealen bis artifiziellen Szenen. Wenn der Junge durch den vom Nebel besetzten Wald irrt, zitiert „Der Besucher“ alte Sagen- und Märchengeschichten, nur um kurze Zeit später zum Ton und Rhythmus eines sperrigen Eremiten-Dramas zurückzufinden.

Vakeapääs Film wirkt und funktioniert nahezu ausschließlich über seine einprägsamen Bilder und Tonkaskaden. Die Impressionen der kargen Landschaft, die in den Gesichtern aller Beteiligten tiefe Spuren hinterlassen hat – für die Besetzung dieses Vierpersonenstücks muss man Vakeapää große Anerkennung zollen –, beanspruchen die eigentliche Hauptrolle für sich. Überhaupt fordert der Film, der eine fast stille Zeitreise in eine archaische, fremde Welt unternimmt, unsere ganze Aufmerksamkeit. Dass wir das Geschehen aus der Perspektive eines Kindes beobachten, nutzt Vakeapää für ein manipulatives Spiel, bei dem letztlich im Unklaren bleibt, was real ist und was lediglich der Imagination des Jungen entspringt. Das offene, trotz aller Zugeständnisse an die künstlerische Freiheit reichlich unbefriedigende Ende dürfte für einige Frustration sorgen.

Marcus Wessel

Finnische Waldlandschaft. Ein einsames Bauernhaus. Es ist schon halb zerfallen. Auch drinnen ist alles verwahrlost, schmutzig, unordentlich. Die Mutter und ihr Junge leben dort. Sie ist behindert, der Junge stumm. Der offenbar brutale Vater sitzt im Gefängnis.

Eines Tages kommt ein Besucher – mit einer Schusswunde im Bauch. Er muss gesund gepflegt werden. Es sieht so aus, als habe es eine frühere Beziehung zwischen ihm und der Familie gegeben, denn der Vater fragt, wenn der Junge zu ihm ins Gefängnis kommt, jedes Mal nach dem Besucher. Den finden wir nach einer gewissen Zeit mit der Mutter im Bett.

Der Vater bringt bei einem Gefängnisbesuch des Jungen diesen fast um, weil er mit der Antwort auf eine Frage nicht zufrieden ist. Die überaus harte Reaktion der Gefängniswärter darauf lässt nicht lange auf sich warten.

Der Besucher zieht jetzt wieder weiter.

Der Junge gilt nach den Auskünften des Co-Autors und Regisseurs als die Hauptperson des Films. Er beobachtet, bleibt passiv, offenbar nicht genau unterscheidend, was Realität und was Phantasie ist. Redend eingreifen kann er sowieso nicht. Er irrt umher, versteckt sich, beobachtet wieder. Wie er (Vitali Bobrov) das mit seinen jungen Jahren macht, bleibt in Erinnerung.

Der Regisseur zu seinem Film: „Eine Erzählperspektive, die ausblendet, ausweicht, aufdeckt, sich verliert, Mauern durchbricht, vitalisiert, aufklärt, mordet und lügt.“

Ein insgesamt düsteres, halb mysteriöses, pessimistisches, depressives, melancholisches Bild aller vier handelnden Personen.

Vieles besteht nur aus Zeichen, Verschlüsselungen, Symbolen. Der Zuschauer muss suchen, finden, seine eigene Vorstellungskraft zu Hilfe nehmen.

Konsequent, eindrucksvoll, unerbittlich ist der Bild- und Rhythmusstil dieses Werkes. Durchaus neu erscheinend, ungewohnt, verblüffend, herausfordernd.

Beim Göteborg-Filmfestival gab es dafür den Nordic Film Award sowie den Kodak-Award.

Etwas für hartgesottene Arthouse-Fans.

Thomas Engel