Bethlehem

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Der hochgradig spannende Politthriller ist im Konflikt zwischen Israel und Palästina angesiedelt und zeigt beide Seiten, ohne emotionale Schnörkel und ohne Partei zu ergreifen. Vielleicht ist es dieser aktuelle Bezug, der die Story vom Geheimagenten und seinem Informanten zu einer Parabel über die Sinnlosigkeit von Feindbildern und Kriegen macht.
Mit viel Mut zur Kritik an den beteiligten Parteien enthüllen Yuval Adler und sein Coautor Ali Waked ein düsteres Bild des Nahost-Konfliktes, ohne dass dabei der Schwerpunkt auf vordergründigen Effekten liegt. Ihre sorgfältig recherchierte Geschichte lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Wer Täter ist, wer Opfer – das spielt in diesem Krieg keine Rolle mehr.

Webseite: www.realfictionfilme.de

Israel, Belgien, Deutschland 2013
Regie: Yuval Adler
Drehbuch: Yuval Adler, Ali Waked
Kamera: Yaron Scharf
Darsteller: Shadi Mar’i, Tsahi Halevy, Hitham Omari, Tarek Copti, Michal Shtemler
Länge: 96 Minuten
Fassung: Original mit Untertiteln (Sprachen: Hebräisch, Arabisch)
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 9. Januar 2014

PREISE/FESTIVALS:

shortlisted als bester fremdsprachiger Film, Oscar 2014 für Israel
Gewinner des Hauptpreises Venice Days, Venedig 2013
Israeli Film Prize 2013: bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch, bester Hauptdarsteller, bester Nebendarsteller, bester Schnitt, bestes Casting, Haifa Film Festival 2013

FILMKRITIK:

Die Fronten in der Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern sind ebenso klar wie verhärtet. Auf israelischer Seite steht der Inlandsgeheimdienst, der Anschläge verhindern will, auf palästinensischer Seite stehen die miteinander verfeindeten Brigaden von al-Aqsa und Hamas, die Anschläge planen und durchführen wollen. Und mittendrin Razi und Sanfur, zwei Menschen, die dieser Krieg zusammengebracht hat. Razi ist Geheimdienstoffizier und der Palastinänser Sanfur, dessen älterer Bruder Ibrahim im Untergrund lebt, ist sein Informant. Die beiden verbindet so etwas wie Freundschaft, entstanden durch den engen Kontakt, den Razi mit Sanfur seit Jahren aufgebaut hat. Vielleicht ist Razi für Sanfur das geworden, was Ibrahim für ihn bedeuten könnte, wenn es diesen Krieg nicht gäbe. Sanfur möchte stark sein, er will es Ibrahim recht machen, er will es sich aber auch nicht mit Razi verderben. So beginnt er ein gefährliches Doppelspiel, und Razi spielt mit, denn er will Sanfur verschonen. Gleichzeitig weiß Razi, dass er seine dienstlichen Kompetenzen überschreitet. Beide brauchen einander und müssen sich entscheiden: für oder gegen die Loyalität zu ihrer Seite, füreinander oder gegeneinander.

Die Geschichte entwickelt sich durch die Wechsel in der Erzählperspektive sehr ungewöhnlich für einen Thriller, beinahe spröde. Doch mit fortschreitender Exposition klärt sich die Lage bald: Die Hauptfiguren stehen fest, und langsam entfaltet sich das hochkomplizierte Beziehungsgeflecht zwischen den Beteiligten, ihre gegenseitigen Abhängigkeiten und damit auch der Stoff für die Konflikte untereinander. Der Politthriller nimmt immer festere Formen an, die Spannung steigt und damit auch die Faszination gegenüber einer fremden, düsteren Welt, in der es für die Beteiligten immer ums Überleben geht. In dieser von militärischen Aktionen, von Selbstmordattentaten und Vergeltungsschlägen geprägten Atmosphäre stehen Razi und Sanfur einander gegenüber wie zwei Ritter ohne Rüstung und ohne Waffen, die dazu verurteilt sind, gegeneinander zu kämpfen, obwohl sie eigentlich nur das wollen, was sich alle wünschen: endlich Frieden.
Razi fühlt sich verantwortlich für Sanfur, der eigentlich ein Junge ist, ein Teenager, der um seine Kindheit gebracht wurde und der in seiner zerstörten und verstörten Familie keinen Halt findet. Diesen Halt findet er bei Razi, dem er aber nicht vertrauen darf, ebenso wenig wie Razi sich auf seinen Spitzel verlassen sollte. Beide machen sich schuldig gegenüber ihrer Partei, wobei Razi als dem älteren die größere Verantwortung zufällt. Doch kann und darf ein Agent sich mit seinem Spitzel anfreunden? „Eine Nutte darf sich nicht in ihren Freier verlieben“, sagt Razis Vorgesetzter. Razi geht voll und ganz in seiner Arbeit auf. Er kennt keinen Feierabend, vernachlässigt seine junge Familie und ist Tag und Nacht für Sanfur da, hilft ihm aus diversen Patschen, ist Freund, großer Bruder und Vertrauter, und versucht dabei immer das große Ziel im Auge zu behalten: über Sanfur den Weg zu Ibrahim zu finden, um ihn zu eliminieren.

Eine Atmosphäre unterschwelliger Gewalt liegt über dieser Geschichte, die so intensiv wie atemstockend spannend ist. Dies ist sicherlich kein leichter Film, er besitzt eine beinahe dokumentarische Schärfe und beeindruckt mit einer hoch komplexen Handlung und mit seinen außergewöhnlich gut durchdachten Charakteren weit mehr als mit Effekten oder Actionszenen. Sehr starke Momente gibt es durch die authentischen Bilder, die einen realen Blick in die Arbeit der Geheimdienste erlauben, aber auch in die merkwürdig festgefahrenen Verbindungen zwischen Hamas und al-Aqsa. Man streitet sich um eine Leiche – wem gehört denn nun der Märtyrer? Und es geht, natürlich, auch um Geld. In dieser düsteren und faszinierenden Männergesellschaft regiert die Gewalt. Und die Angst davor. Es gibt keine Sicherheit, nur Misstrauen und Zweifel. Keine Antworten, aber viele Fragen.

Gaby Sikorski