Byzantium

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Fast zwanzig Jahre nach „Interview mit einem Vampir“ drehte Neil Jordan einen weiteren Blutsauger-Film, der bei aller Beachtung der Genreregeln auch neue Akzente setzt. Erzählt wird die Geschichte einer alleinerziehenden Mutter („Bond"-Girl Gemma Arterton) und ihrer Tochter (Saoirse Ronan, „Abbitte“), die gejagt von einem mächtigen Geheimbund schließlich in einem verfallenen, englischen Küstenstädtchen Zuflucht finden. Natürlich sind sie auch dort nicht lange sicher. „Byzantium“ ist ein visueller Genuss, großartig besetzt und durchzogen von einer besonderen Melancholie, wie sie nur wenige Regisseure erschaffen können.

Webseite: www.universumfilm.de

GB/USA/IRL 2012
Regie: Neil Jordan
Drehbuch: Moira Buffini
Darsteller: Saoirse Ronan, Gemma Arterton, Sam Riley, Caleb Landry Jones, Daniel Mays, Jonny Lee Miller
Laufzeit: 118 Minuten
Kinostart: 23.1.2014
Verleih: Universum

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Hat der Vampirfilm seinen Zenit vielleicht längst überschritten? Spätestens seit der „Twilight“-Reihe mag einen das Gefühl beschleichen, dass das Genre in einer Sackgasse angekommen ist. Ausnahmen wie der großartige, skandinavisch-unterkühlte „Let the Right One in“ schienen diese Beobachtung lediglich zu bestätigen. Umso mehr ließ die Nachricht aufhorchen, dass ausgerechnet Neil Jordan in die Welt der Fangzähne und Blutsauger zurückgekehrt sei. Fast zwanzig Jahre nach der opulenten Bestseller-Adaption „Interview mit einem Vampir“ erzählt Jordan mit anderem Personal und in Teilen durchaus ähnlichen Mitteln ein neues Kapitel des Vampir-Themas. Dieses Mal stehen Mutter und Tochter im Mittelpunkt der 200 Jahre umspannenden Geschichte.

Clara (Ex-Bond Girl Gemma Arterton) und ihre Tochter Eleanor (Saoirse Ronan) sind Vampire und leben auf der Flucht vor einer geheimnisvollen Bruderschaft. Als sie ihr Quartier in einem tristen Plattenbau wieder einmal überhastet verlassen müssen, zieht es sie in ein verfallenes englisches Seebad, das ganz offenbar schon einmal bessere Zeiten gesehen hat. Doch der Ort hat eine Vergangenheit, die mit Claras und Eleanors eng verbunden ist. Dank eines neuen Bekannten kommen sie in einem ausrangierten Hotel unter, das die tatkräftige Clara kurzerhand in ein Bordell umfunktioniert. Als alleinerziehende Mutter fühlt sie sich verpflichtet, den Lebensunterhalt für sich und Eleanor selbst zu verdienen. Dabei hilft Clara ihr makelloser, von jeder Alterung befreiter Körper, dem bereits unzählige Männer erlegen sind. Eleanor, die äußerlich wie ein Teenager wirkt, findet unterdessen in dem verschlossenen Frank (Caleb Landry Jones) einen neuen Freund. Sie beschließt, sich ihm anzuvertrauen und ihre Geschichte für ihn aufzuschreiben.

Bereits die Idee, einen Vampirfilm konsequent aus Sicht von Mutter und Tochter zu erzählen, unterscheidet „Byzantium“ von seiner Genre-Verwandtschaft. Dass Jordan nichts von seiner Hingabe für das Sujet verloren hat, zeigt sich schon nach wenigen Minuten. Scheinbar mühelos gelingt es ihm, uns in diese dunkle Welt hineinzuziehen. Dabei vermischen sich kurze, aber heftige Gewaltausbrüche mit einem kühlen, für das Genre eher ungewöhnlichen Realismus. Die Einführung in das verschlafene Seebad, das eine trotz des sichtbaren Verfalls wunderschöne Melancholie umgibt, legt die atmosphärische Grundlage für eine Jordan-typische, düster-poetische Erzählung, in der sich die unterschiedlichen Zeitebenen am Ende zu einem komplexen Mosaik zusammensetzen. In kunstvollen Rückblenden schildert der Film Claras und Eleanors Schicksal, dessen Geheimnisse erst Zug um Zug gelüftet werden.

Ohne die fundamentalen Spielregeln des Genres zu missachten, führt „Byzantium“ auch einige neue Ideen über den Vampirmythos ein. Dass dieser ursprünglich ein reiner Herrenclub war, in den Clara nur dank eines blitzschnellen und mutigen Coups Zutritt erhielt, zählt zu den gerade aus Gender-Perspektive interessanten Abweichungen. Neben dem Wunsch nach Unsterblichkeit, der gelegentlich wie ein Fluch erscheint, und der Außenseiterfigur des Vampirs beschäftigt sich Jordan intensiv mit dem in uns allen tiefverwurzelten Bedürfnis sich anderen Menschen mitzuteilen, Geschichten zu erzählen – sei es die eigene oder eine erdachte. Mit ihren handschriftlichen Notizen bringt Eleanor sich und Clara mehr als einmal in höchste Gefahr. Doch auch das hält sie nicht vom Schreiben ab, zu stark ist die Sehnsucht nach einer Katharsis, nach jemanden, der zuhört oder mitliest und so ihre Einsamkeit durchbricht.

All dies fängt Jordan in wunderschönen Bildern ein. „Byzantium“ ist nicht allein wegen seiner beiden Hauptdarstellerinnen ein visueller Hochgenuss, ein Film mit einer eigenständigen Bildsprache, der wie leider nur wenige Produktionen die Möglichkeiten des Kinos voll ausschöpft. Wenn sich Wasserfälle plötzlich blutrot färben, dann sind das Eindrücke, die trotz aller Kitschgefahr tief in unser Unterbewusstsein vordringen. Als das Antidot aller „Twilight“-Ermüdeten dürfte „Byzantium“ daher viele Bewunderer finden.

Marcus Wessel