Chaser, The

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Na Hong-Jins Regiedebüt „The Chaser” lief dieses Jahr in Cannes. Und das hatte seine Berechtigung. Denn der Erstling des jungen südkoreanischen Regisseurs ist eine reife Leistung. Was als Genrefilm über einen Serienkiller beginnt, weitet sich zu einer Betrachtung der südkoreanischen Gesellschaft und ihrer Probleme aus. Mit der Geschichte eines psychopathischen Mörders, der seine Taten freimütig gesteht, aber nicht aus dem Verkehr gezogen werden kann, legt Hong-Jin die Anonymität der Verhältnisse und das Versagen moralischer und rechtlicher Instanzen bloß. Wie viele seiner südkoreanischen Kollegen lässt er dabei das Blut ordentlich spritzen. Denn die Gewalt, so die düstere Botschaft, hat bestimmte großstädtische Milieus fest im Griff.

Webseite: mfa-film.de

Südkorea 2008
Regie: Na Hong-Jin
Buch: Hong Won-Chan, Lee Shin-Hoo, Na Hong-Jin
Darsteller: Kim Yun-Seok, Ha Jung-Woo, Seo Yeong-Hie, Jeong In-Gi
Länge: 123 Minuten
Verleih: MFA
Kinostart: 6. November 2008

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Die jungen Frauen haben ihren Chef unter dem Namen Dreckskerl im Handy gespeichert. Das trifft es ganz gut, und Joong-Ho (Kim Yun-Seok), der Boss einer Callgirl-Agentur, weiß selbst, dass er einer ist. Der Job der Prostituierten ist gefährlich. Die Kunden, die sie in Hotels oder Wohnungen bedienen, nutzen ihre Schutzlosigkeit gern aus. Dann muss Joong-Ho sie raushauen. Doch das ist Tagesgeschäft. Den Chef plagt jedoch ein größeres Problem. Einige seiner Frauen verschwanden in jüngster Zeit. Er vermutet, dass sie verschleppt und verkauft wurden. Als er Mi-Jin (Seo Yeong-Hie) zu einem Kunden beordert, schärft er ihr deshalb ein, sie solle ihn anrufen und ihm die Adresse nennen, sobald sie eingetroffen sei. Im Haus des Kunden Young-Min (Ha Yung-Wo) hat Mi-Jin jedoch keinen Empfang, und dann stellt sie fest, dass das Badezimmerfenster zugemauert ist.

Das Opfer sitzt in der Falle, der Täter geht ans Werk, der Zuhälter nimmt die Fährte auf. So weit, so erwartbar. Doch dann verlässt „The Chaser“ bekannte Thriller-Pfade und wandelt sich zu einem schaurig-grotesken Wettrennen, das über Leben und Tod entscheidet. Der nicht sonderlich geschickte Täter ist alsbald gefasst und gesteht freimütig, etliche Prostituierte ermordet zu haben. Doch es gibt keine Leichen - und vor allem gelingt es der Polizei nicht, die Adresse des Mannes herauszufinden, um dort Beweise sicherzustellen. Darüber hinaus steht die Polizei-Führung unter Druck, weil sie nicht verhindern konnte, dass der Präsident des Landes bei einem öffentlichen Auftritt mit Kot beworfen wurde. Die Medien zwängen beide Fälle in einen Zusammenhang – mit tragischen Folgen.

Nach und nach entwickelt sich „The Chaser“ zu einem Polit-Drama, das das Versagen der Behörden zeigt, einen Mörder zu überführen und die Bürger zu schützen. Das liegt nicht nur an der Unfähigkeit der Ermittler, den Eingriffen der Politik und einer skandalsüchtigen Presse. Ein wiederkehrendes Motiv ist die Anonymität des großstädtischen Lebens, die Morde großen Stils erst ermöglicht. Der Kontakt zwischen Prostituierten und Freiern wird als radikale Form dieser Anonymität gesellschaftlicher Beziehungen ins Zentrum gerückt; ebenso der Umstand, dass jemand, der nicht gefunden werden will, auch nicht gefunden wird. Das zweite wiederkehrende Motiv heißt Vertrauen. Vertrauen ist unerlässlich fürs Zusammenleben. In einer Gesellschaft mit bröckelnden sozialen Beziehungen ist Vertrauen jedoch Glücksache und mitunter ein fataler Fehler, wie im Schlussakkord des Films zu sehen ist.

Hong-Jin erzählt dies alles weder oberlehrerhaft noch mit vordergründiger Empörung. Die Wucht der Ereignisse spricht für sich, und gelegentlich ist noch Platz für schwarzen Humor und aberwitzige Pointen. Gelungen ist auch die Figurenzeichnung der beiden Widersacher, die genreübliche Typisierungen unterläuft. Der Killer wirkt wie ein harmloser, dummer Schuljunge, der Jäger steht in seiner Skrupellosigkeit seinem Gegner zunächst in nichts nach und verwandelt sich nur langsam in einen Menschen, den nicht nur der Eigennutz treibt. 

Volker Mazassek

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