Close Up Kurdistan

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Seit fast einem Jahrhundert tobt die Auseinandersetzung zwischen Türken und Kurden. Im Jahr 1984 begann die PKK den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat, der bis zur Verhaftung Öcalans 1999 andauerte. Dem „schmutzigen Krieg“ fielen bisher mehr als 100.000 Menschen auf beiden Seiten zum Opfer, dennoch ist das Interesse an der türkisch-kurdischen Frage in der deutschen Öffentlichkeit eher gering. Eine gute Annäherung an das brandaktuelle Thema bietet der Dokumentarfilm CLOSE-UP KURDISTAN von Yüksel Yavuz, der seit 1980 in Deutschland lebt und hier bereits die kleinen feinen Filme MEIN VATER DER GASTARBEITER, APRILKINDER und KLEINE FREIHEIT drehte.

Webseite: www.closeup-kurdistan.de

Deutschland 2007 - Dokumentation
Regie: Yüksel Yavuz
Kamera: Emre Erkmen
Schnitt: Özgur Tan
Musik: Kardeþ Türküler, Aynur Doðan 
Protagonisten: Dr. Ismail Beþikiçi, Beriwan, Abdulkadir Aygan, Uli Çekdar, Ali Yildirim, Orhan Miroðlu, Eyse Sipendarik
104 Minuten
Verleih: mîtosfilm
Kinostart: 6.12.2007

PRESSESTIMMEN:

Faktenreicher, mosaikartiger Dokumentarfilm zum türkisch-kurdischen Konflikt, der sich seinem Thema zunächst als persönlicher Reisebericht nähert, um schließlich in einen vielfältigen Diskurs zwischen Opferperspektive und intellektueller Analyse überzugehen.
film-dienst

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FILMKRITIK:

CLOSE-UP KURDISTAN beginnt im Privaten. Yavuz unternimmt eine Reise in sein Heimatdorf Karakocan, besucht Eltern und Verwandte und erinnert sich an die Zeit als er klein war und auf das türkische Internat musste, in dem den kurdischen Kindern ihre Sprache und Herkunft abtrainiert und eine türkische Identität anerzogen werden sollte. Immer wieder durchziehen den Film Bilder von militärischem Drill an den Schulen, aber auch in den Ausbildungslagern der PKK. Ebenso wird die Erzählung immer wieder von Kamerafahrten durch karge Berglandschaften und belebte Städte gebrochen und von kurdischer Musik, die jahrzehntelang verboten war, untermalt.

Später weitet sich der Blick, nach und nach ergänzen unterschiedliche Gesprächspartner die historischen und politischen Rahmenbedingungen der persönlichen Erfahrung. Dr. Ismail Beþikiçi, der aufgrund seines Engagements bislang 17 Jahre in türkischen Gefängnissen verbracht hat, berichtet, wie er sich schon als junger Wissenschaftler für das kurdische Volk zu interessieren begann – zu einer Zeit als der türkische Staat die Existenz einer eigenständigen kurdischen Identität und Sprache nicht anerkannte. Der Lehrer Orhan Miroðlu, der jahrelang im berüchtigten Geheimgefängnis Diyarbakir inhaftiert war, trauert um die  kulturelle und religiöse Vielfalt der Türkei, die seit den 20er Jahren zunehmend der Kemalistischen Ideologie von „Ein Staat, eine Sprache, eine Religion, eine Nation“ zum Opfer fiel. Neben den Kurden waren auch Armenier, Assyrer und andere Minderheiten Verfolgung und Unterdrückung ausgesetzt. Der Genozid an den Armeniern ist heute noch Tabuthema in der Türkei.

Am eindrucksvollsten sind die Interviews Yavuz' mit den drangsalierten Bewohnern der Grenzdörfer, die zwischen Militär und PKK aufgerieben werden und denen oft nur die Flucht bleibt. Dort gibt es kaum eine Familie, die keine Angehörigen im „schmutzigen Krieg“ zwischen Staat und PKK verloren hat und deren Kinder nicht tot, inhaftiert, untergetaucht oder ausgewandert sind. Bei anderen Gesprächspartnern dagegen hätte man sich etwas mehr Informationen zum Hintergrund gewünscht. Immer wieder zeigt der Film zum Beispiel die nach Wuppertal immigrierte Ex-PKK-Terroristin Beriwan unterwegs in Deutschland. Über ihre Geschichte, Gegenwart und Gedanken erfährt man hingegen so gut wie nichts. Rätselhaft bleibt auch, was den Deutschen Uli Çekdar bewogen hat, der kurdischen Guerilla beizutreten und warum sich ein Ex-Kontra-Guerilla auf ein öffentliches Interview einlässt.

Auch wenn einige Fragen bleiben und ein beiläufiger und unnötiger Holocaust-Vergleich unangenehm aufstößt: CLOSE-UP KURDISTAN ist weniger politische Stellungnahme als der  Versuch einer Aufklärung: „...  Ich lernte junge Kurden kennen, die als Guerrillakämpfer im Krieg involviert waren und dann als Kriegsinvaliden nach Deutschland kamen. Trotzdem hatte ich immer das Gefühl, dass wir hier in Europa von dem “permanenten” und schmutzigen Krieg in Türkisch-Kurdistan kaum etwas wissen. Die breite Masse in Europa und der übrigen Welt nimmt von der Tragödie keine Notiz. Deswegen wollte ich mir das alles aus der Nähe ansehen, um das Ausmaß des türkisch-kurdischen Konfliktes begreiflich zu machen.“ (Yüksel Yavuz) 

Sorgfältig trägt Yavuz Fakten, Erfahrungen, Eindrücke und Biographien zusammen. Aus den Bruchstücken entsteht nach und nach das Bild eines vom Militär dominierten türkischen Staates, der einen systematischen Krieg gegen die kurdische Bevölkerungsminderheit führt.

Hendrike Bake