Der Dokumentarfilm von Stéphane Sorlat, der damit nach vielen Jahren als Produzent sein Debüt als Filmregisseur präsentiert, ist weniger eine klassische Künstlerbiografie als eine durchkomponierte intellektuelle Annäherung an den Maler, in der zahlreiche Fachleute zu Worte kommen, die sich dem Phänomen Velázquez anzunähern versuchen.
Doch ganz gleich, wie viele Fakten, Informationen und Interpretationen Sorlat serviert: Dem Geheimnis von Velázquez ist offenbar nicht beizukommen. Aber vielleicht geht es auch gar nicht darum …
Über den Film
Originaltitel
L’Énigme Velázquez
Deutscher Titel
Das Geheimnis von Velázquez
Produktionsland
FRA
Filmdauer
91 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Sorlat, Stéphane
Verleih
Neue Visionen Filmverleih GmbH
Starttermin
20.11.2025
Stéphane Sorlat verzichtet in seiner Dokumentation auf jede Form der musealen Verklärung oder des eindeutig chronologischen biografischen Nacherzählens. Stattdessen entfaltet sich eine reflektierte, gelegentlich beinahe meditative Auseinandersetzung, in der die Kunstkritik sowie Kunsthistorikerinnen und -historiker ebenso zu Worte kommen wie Künstler – bekanntere und unbekanntere. Zu den bekannteren der Gegenwart gehören Julian Schnabel und der 1992 verstorbene Francis Bacon, der sich in einem Interview ausführlich zu Velasquéz und zu den Einflüssen auf sein Werk äußert. Auch Salvador Dali, der Mann mit dem Velasquéz-Schnurrbart, und Picasso, der eines der Hauptwerke des spanischen Barockmalers dekonstruierte – Las Meninas (Die Hofdamen) –, sprechen über Velasquéz und seine besondere Art des malerischen Erzählens, sein Handwerk, seine Technik und seinen Umgang mit Licht und Schatten. Die Reflexionen der Künstlerinnen und Künstler beleben den Film außerordentlich, der ansonsten eine Fülle von Informationen präsentiert, die auf der Grundlage von kunsthistorischen und historischen Deutungen doch eher theoretischen Charakter haben.
Von den vorgestellten Gemälden sind vor allem die Porträts faszinierend, darunter viele ergreifende Kinderporträts. Sie zeigen nicht nur die damalige spanische Prominenz – Velasquéz war immerhin der Hofmaler des Königshauses, sondern auch mit viel beeindruckendem Realismus die Menschen aus dem Volk, vor allem die Ausgestoßenen und Marginalisierten, wie die kleinwüchsigen Hofnarren, die in seinen Gemälden oft genauso viel Schmerz wie Würde ausstrahlen.
Zahlreiche Gemälde werden vorgestellt, wobei Las Meninas, das rätselhafteste Werk des Künstlers und eines der am häufigsten interpretierten Werke der Kunstgeschichte, einen zentralen Platz einnimmt. Es zeigt viele Aspekte, die eher untypisch für den Barock sind und bereits den Impressionismus ahnen lassen: einen großen Willen zur realistischen Darstellung der Porträtierten, den Wechsel zwischen Kontrasten, aber gleichzeitig spielt es mit Raum und Zeit. Die Trompe-l’œil-Technik und ein Spiegel schaffen rätselhafte dreidimensionale Räume. Zudem ist die Komposition sehr ungewöhnlich, und zusätzlich hat sich der Maler selbst darin verewigt. Das Bild wirkt gleichzeitig sehr lebendig, atmet aber auch das strenge spanische Hofzeremoniell. Auch „Las Hilanderas“, ebenfalls ein Spätwerk, das kein Auftragswerk des Königshauses war und ein mythologisches Thema behandelt, wird genauer besprochen. Obwohl klar ist, dass es dabei um den Wettstreit beim Weben von Wandteppichen zwischen Pallas Athene und der hochmütigen Sterblichen Arachne geht, wirft dieses Bild interpretatorisch noch mehr Rätsel auf als Las Meninas. Sorlat lässt dazu auch eine moderne Wandteppichkünstlerin zu Worte kommen, er bietet eine Unmenge an Stimmen auf, nicht nur aus der Bildenden Kunst, er schweift ab, aber er kommt immer wieder auf sein Hauptthema zurück: Velasquéz und seine Werke.
Die Kamera verweilt lange auf den Oberflächen der Gemälde, manchmal scheint es, als wolle sie hineinkriechen in die Bilder, sie tastet mit Licht, Unschärfe und Bewegung über die Bildhaut, als könne sie selbst die Schichten der Zeit abtragen. Begleitet wird das von einer zurückhaltenden, fast kontemplativen Tonspur, die den Betrachtenden Raum lässt. Diese Gelassenheit ist, ebenso wie die zumindest teilweise essayhafte Form mit ihren Zeitsprüngen, unterschiedlichen Kommentaren und der im französischen Original so markanten Stimme von Vincent Lindon, der lyrische Texte zu Velasquéz spricht, eine bewusste Entscheidung: Der Film fordert viel Aufmerksamkeit und Geduld.
Trotz der Fülle an Analysen, trotz der vielen Stimmen aus Kunst und Wissenschaft bleibt das titelgebende Rätsel bestehen. Das „Geheimnis von Velázquez“ wird nicht gelüftet – und genau darin liegt die eigentliche Stärke des Films. Denn er zeigt, dass wahre Kunst nicht erklärt, sondern erfahren werden will. Das Geheimnis bleibt – als Einladung, selbst genau hinzuschauen, sich selbst ein Bild zu machen, das es zu erleben und zu erfühlen gilt.
„Das Geheimnis von Velázquez“ ist eine Hommage an das Sehen, das Denken und das Staunen und damit nicht nur ein Film für Kunstfans, sondern für alle Menschen, die in der Kunst nicht nach Antworten suchen, sondern nach Begegnungen mit dem Unbekannten.
Gaby Sikorski