Das tiefste Blau

Um die Wirtschaftsleistung des Landes zu steigern, werden in Brasilien der nahen Zukunft Senioren in Wohnkolonien umgesiedelt. Die Regierung ehrt die Alten zwar als „lebendige Nationalheiligtümer“ – nur um sie wenig später allerdings im Gefängniswagen abzutransportieren. Mittendrin: Tereza, die sich diesem Schicksal nicht ergeben will und sich auf eine lebensverändernde Reise durch den Amazonas begibt. Dieses „Streben nach Freiheit“ schildert „Das tiefste Blau“ mit hochgradiger Sensibilität und Vielschichtigkeit. Die Mischung aus Drama, Sci-Fi, Abenteuer und Roadtrip begeistert zudem mit seiner entschleunigten Stimmung und kraftvollen Bildsprache.

 

Über den Film

Originaltitel

O Último Azul

Deutscher Titel

Das tiefste Blau

Produktionsland

BRA, MEX, NED, CHL

Filmdauer

85 min

Produktionsjahr

2025

Regisseur

Mascaro, Gabriel

Verleih

Alamode Filmdistribution oHG

Starttermin

25.09.2025

 

Tereza (Denise Weinberg) ist 77 und führt ein ereignisloses aber zufriedenes Leben in einer brasilianischen Industriestadt am Amazonas. Alles ändert sich als die Regierung beschließt, ältere Menschen in entlegene Seniorenkolonien umzusiedeln, damit junge Generationen ungestört ihre Produktivität steigern können – anstatt die Älteren versorgen und pflegen zu müssen. Statt sich diesem fremdbestimmten Schicksal zu fügen, begibt sich die rüstige ältere Dame auf eine Reise tief in das Herz des Amazonas und seiner Nebenflüsse. Dort begegnet sie Menschen, die sie bei ihrem Wunsch nach einem freien und selbstbestimmten Dasein im Alter unterstützen. Außerdem erfüllt sie sich bei ihrem Trip einen letzten, heimlich gehegten Wunsch.

Gabriel Mascaro beschreibt mit seinem Film, der auf der diesjährigen Berlinale seine Weltpremiere feierte und mit dem Silbernen Bären (Großer Preis der Jury) ausgezeichnet wurde, eine „Flucht in die Freiheit“. Der brasilianische Filmemacher zeichnet dafür das Bild einer dystopischen nahen Zukunft, in der sich die Politik der „Alten“ entledigt. Die Zwangsumsiedlung in abgeschottet gelegene Gegenden erscheint der Regierung dafür als das Mittel der Wahl. Eigentlich hat Tereza noch drei Jahre Zeit, da jene Abschiebung erst mit 80 droht. Doch ein Erlass sorgt dafür, dass es für sie jetzt schon an der Zeit ist.

Was folgt, ist eine von Mascaro bewusst überzeichnete aber im Kern dann doch oft treffende Darstellung behördlich-bürokratischer Schikane. Hinzu kommen Beispiele alters-diskriminierender Stereotype und Alltagssituationen. Denn so wie es Tereza im Umgang mit den Behörden und innerhalb der Gesellschaft ergeht, so erleben womöglich viele, gerade ältere Menschen, den Alltag in einer Welt, in der absolute Leistungsfähigkeit, Jugendwahn und Körperkult zentrale Stellungen einzunehmen scheinen. „Was ich will, ist egal?“, fragt Tereza einen Beamten auf dem Amt. Seine Antwort ist zwar ehrlich aber auch frei von jeglichem Mit- und Feingefühl: „Es gibt [in ihrem Alter] nichts mehr zu wollen.“

Im Anschluss geht die Diskriminierung nahtlos weiter: Ein Bootsticket erhält sie ohne Vormundschaft nicht und selbstverständlich zwingt man sie, wie alle anderen Senioren auch, Windeln zu tragen. Wenig später folgt gar der Abtransport mit dem gefürchteten „Altenabschlepper“ (eine Art fahrbares Gefängnis im Mini-Format). Mascaro erzählt all dies mit Charme und klugem, hintersinnigem sowie satirischem Humor. Eine poetische, teils unwirkliche Note durchzieht den Film mit Beginn der Reise Terezas auf dem Amazonas. Hier gibt sich Mascaro in beachtlichen, entschleunigten Bildern ganz der malerischen Natur und bezaubernden Landschaften hin. Minutenlang ist kein Wort oder Dialog zu hören, gemeinsam mit Tereza und ihrem Bootsführer schweben wir über das Wasser. Währenddessen dominiert die traumartige, eine mystische Aura verströmende Musik des Komponisten Memo Guerra, die die Imagination befeuert. Sie unterstützt die Handlung von der ersten Minute an und überträgt die Emotionen Terezas auf die Tonspur.

Bisweilen geht es in „Das tiefste Blau“ etwas zu sprunghaft zu, zum Beispiel wenn Mascaro einige Reisestationen sowie Terezas Begegnungen mit Einheimischen lediglich pflichtbewusst und vorschnell abhandelt. Auch hätte man über einige Aspekte und lediglich angedeutete Themen gern mehr erfahren. Etwa über die Schnecken, die das – titelgebende – blaue Sekret absondern, welches zu bewusstseinsverändernden Zuständen führt.

Dafür überzeugt Hauptdarstellerin Denise Weinberg in der Rolle der mutigen Seniorin, die sich, prinzipientreu und selbstbewusst, jedweder politischen wie behördlichen Willkür widersetzt. Sie stürzt sich nochmal in ein entdeckungsreiches, überlebensgroßes Abenteuer und eignet sich mit all ihrer Widerspenstigkeit und dem unerschütterlichen Glauben an die eigenen Träume ideal als Identifikationsfigur – für Menschen jeglichen Alters.

 

Björn Schneider

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