Der blinde Fleck – Täter. Attentäter. Einzeltäter?

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Der Anschlag auf das Oktoberfest im September 1980 gilt als der verheerendste Terroranschlag in der bundesdeutschen Geschichte, ein politischer Skandal wurde aber erst durch vertuschte Spuren und manipulierte Ermittlungen daraus. Davon erzählt Daniel Harrich in „Der blinde Fleck – Täter. Attentäter. Einzeltäter?“, ein exzellenter Polit-Film, der weniger ideologische Partei ergreift, als Strukturen des Machtmissbrauchs andeutet, deren Existenz in Deutschland gerne bestritten werden.

Webseite: www.ascot-elite-film.de

Deutschland 2013
Regie: Daniel Harrich
Buch: Daniel Harrich, Ulrich Chaussy
Darsteller: Benno Fürmann, Nicolette Krebitz, Heiner Lauterbach, Jörg Hartmann, August Zirner, Miroslav Nemec,
Länge: 105 Minuten
Verleih: Ascot Elite
Kinostart: 23. Januar 2014

PREISE:

Publikumspreis der Filmkunstmesse Leipzig 2013
Friedenspreis des Deutschen Films in der Kategorie Nachwuchspreis 2013

PRESSESTIMMEN:

"...eindrucksvoll ...ein wichtiger Film."
ZDF Heute Journal

FILMKRITIK:

Am 26. September erschütterte eine Bombenexplosion das Oktoberfest in München: 13 Menschen kamen ums Leben, darunter der 21jährige Gundolf Köhler, der von Polizei und Staatsschutz schnell als Einzeltäter benannt wurde. An diesem Ergebnis halten die Behörden bis zum heutigen Tag fest. So weit die spärlichen Fakten des Attentats, das seitdem jedoch immer wieder Anlass für Spekulationen bot, in Filmen und Romanen thematisiert wurde.

Von Anfang an dabei war Ulrich Chaussy, Journalist beim Bayerischen Rundfunk, dessen jahrelange Nachforschungen Basis für „Der blinde Fleck“ sind.

Doch der Film beginnt mit Hans Langemann (Heiner Lauterbach), dem damaligen Chef des bayerischen Verfassungsschutzes. Bei einem Vortrag vor Polizeischülern erklärt Langemann seine Theorie, die besagt, dass bei vielen Attentaten Bauernopfer vorgeschickt werden, als Marionetten dienen. Je langsamer ermittelt wird, desto unklarer werden die Verbindungen zu den wahren Hintermännern, bis am Ende kaum noch nachvollziehbar ist, wer hinter einem Anschlag steckte. In diesem kurzen Monolog verbirgt sich die Haltung von „Der blinde Fleck“, der keinen Zweifel daran lässt, dass das Oktoberfestattentat nicht von einem Einzeltäter verübt wurde.

Zu diesem Ergebnis kommt Ulrich Chaussy (gespielt von Benno Fürman) im Laufe seiner Nachforschungen, die nach dem offiziellen Ergebnis 1983 beginnen. Zusammen mit dem Opferanwalt Werner Dietrich (Jörg Hartmann) macht sich Chaussy auf die langsam erkaltenden Spuren, versucht Zeugen aufzuspüren, deren Aussagen unter den Tisch gekehrt wurden, fährt nach Donaueschingen, in die Heimat des angeblichen Einzeltäters, und bekommt gar Hilfe von ganz oben: „Meier“ (August Zirner) nennt sich Chaussys Informant – quasi sein Deep Throat – der ihn mit Akten aus dem Amt versorgt und mit gezielten Fragen auf die richtige Spur bringt. Doch die Ermittlungen fordern ihren Tribut: Chaussys Frau Lise (Nicolette Krebitz) ist zunehmend genervt von der Besessenheit ihres Mannes, der den Fall bald beiseite legt.

Dass die persönliche Komponente, die potentielle Bedrohung des einsam nach der Wahrheit Ermittelnden praktisch nicht existiert, verhindert, das „Der blinde Fleck“ die Sphären von Politfilmklassikern wie Costa-Gavras „Z“ oder Francesco Rosis „Die Affäre Mattei“ erreicht. Doch dass man bei einem deutschen Film überhaupt an solche Filme denkt spricht Bände. Was Daniel Harrich – der zusammen mit Ulrich Chaussy auch das Drehbuch schrieb – mit „Der blinde Fleck“ gelingt, sucht man im deutschen Kino meist vergeblich: Einen politischen Film, der es sich nicht einfach macht und die Welt einfach in klare, aber auch unterkomplexe schwarz-weiß Kategorien unterteilt.

Wer den Anschlag verübte, kann und will auch dieser Film nicht beantworten, was die Interessen von Politik und oder den Geheimdiensten waren, die Ermittlung in bestimmte Richtungen zu lenken, inwiefern Journalisten Informationen zugespielt wurden und dadurch die öffentliche Meinung beeinflusst wurde: All diese Aspekte werden angedeutet und formen sich zum unheilsvollen Bild eines Systems, dass von Außen kaum zu durchschauen ist.

Gerade das zum Ende des Films auf den aktuellen NSU-Prozess angespielt wird, zeigt, wie wenig auch in Deutschland über die Machenschaften der Geheimdienste, über V-Männer, klandestine Operationen, Manipulation von Medien und Öffentlichkeit bekannt ist. Dies zu thematisieren, und dazu noch auf solch komplexe, bewusst ambivalent bleibende Weise, macht Daniel Harrichs „Der blinde Fleck“ zu einem so bemerkenswerten Film!

Michael Meyns