Die Kunst sich die Schuhe zu binden

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Es dürfte nicht zuletzt der enorme Erfolg von „Ziemlich beste Freunde“ gewesen sein, der nun auch dieser schwedischen Komödie um eine Gruppe von Behinderten den Weg in die deutschen Kinos gebahnt hat. Lena Koppels Film schildert – ebenfalls auf wahren Begebenheiten beruhend – die Entstehung einer Theatergruppe, die Behinderten einen normaleren Umgang mit der Gesellschaft ermöglicht. Ein etwas konventioneller, aber doch gelungener Feel-Good-Film.

Webseite: www.mfa-film.de

OT: Hur många lingon finns det i världen?
Schweden 2011
Regie: Lena Koppel
Buch: Lena Koppel, Trine Piil, Pär Johansson
Darsteller: Sverrir Gudnason, Bosse Östlin, David Gustafsson, Elinore Holmer, Maja Karlsson
Länge: 100 Minuten
Verleih: MFA+
Kinostart: 20. September 2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Alex (Sverrir Gudnason) ist ein Hallodri, wie er im Buche steht: Grundsympathisch zwar, aber völlig unzuverlässig. Seine Jobs schmeißt er mit schöner Regelmäßigkeit, in seinem angestammten Beruf als Schauspieler nervt er Regisseur und Kollegen mit ungeplanten und unerwünschten Einlagen und auch seine Freundin hat endgültig genug von ihm. Nachdem er zum wiederholten Mal eine Verabredungen verschwitzt hat, sitzt Alex plötzlich vor der Tür. Die letzte Rettung ist sein Bruder, der dummerweise in Hudiksvall lebt, tiefste schwedische Provinz. Dort will es Alex noch ein Mal versuchen und bekommt vom Arbeitsamt genau eine Stelle angeboten: Hilfskraft in einer Behindertenwerkstatt. Zwar kommt er gleich am ersten Tag zu spät, doch zu den Behinderten entwickelt er schnell einen guten Draht. Diese werden mit stoischen, sinnlos wirkenden Arbeiten eher ruhig gestellt als vernünftig beschäftigt. Das sie seit Jahren vergeblicherweise üben, eine Schleife zu binden, erscheint Alex wie reine Zeitverschwendung: Warum stattdessen nicht gleich Schuhe mit Klettverschlüssen benutzen?

Mit seiner unkonventionellen Art macht sich Alex zwar bei den Behinderten beliebt, seine Kollegen aber bleiben skeptisch. Erst recht als Alex die Idee hat, die Gruppe beim Wort zu nehmen und bei einer Art „Schweden sucht den Superstar“ antreten zu lassen. Ein Auftritt in Stockholm endet zwar wenig erfreulich, doch der Bühnenmensch in Alex hat Blut geleckt: Er setzt alles daran, den sechs Behinderten doch noch den Traum vom großen Auftritt zu erfüllen.

Lose basiert Lena Koppels in Schweden enorm erfolgreich gelaufener Film auf den Erlebnissen von Pär Johansson, der auch am Drehbuch mitschrieb. Mitte der 90er Jahre gründete Johansson das Glada Hudik-Theater, das behinderten Menschen die Möglichkeit gab, aus dem Alltag auszubrechen, sich mit großen Zielen zu konfrontieren und dadurch Dinge zu erreichen, die ihnen wenige zugetraut hätten. Zunächst nur lokal erfolgreich, feierte das Theater inzwischen sogar internationale Erfolge und wurde 2010 gar bei einer Aufführung am Broadway gefeiert.

Sechs aktuelle Mitglieder des Glada Hudik-Theater spielen auch im Film mit und verleihen der Geschichte große Authentizität. Eingebettet ist ihre, die eigentlich spannende, berührende Geschichte, zwar in die Selbstfindung eines Außenstehenden, des nicht behinderten Alex. Doch dessen Entwicklung vom Hallodri zum engagierten Sozialhelfer, der sich gegen alle Hindernisse den Respekt seiner Umwelt erarbeitet, wird dankenswerterweise eher flott abgehandelt. Viel schöner ist es, den mehr oder weniger stark Behinderten beim Umgang miteinander zuzusehen und vor allem zu beobachten, wie die vermeintlich „normale“ Welt auf sie reagiert. Das folgt zwar recht genau den Mustern dieser Art von engagiertem Feel-Good-Kino, ist aber souverän genug gefilmt und mit einer guten Mischung aus Humor und Sentimentalität inszeniert, dass „Die Kunst sich die Schuhe zu binden“ zu einem schönen, runden Film wird.

Michael Meyns

Schweden. Alex, der beim Theater vorspricht, wird nicht genommen. Dazu kommt, dass seine Freundin ihm den Laufpass gibt, weil er seit langem nur auf ihre Kosten lebt. Auch sein Bruder, der in der Stadt Hudiksvall wohnt, ist nicht begeistert, als Alex ihn aufsucht. Immerhin nimmt er ihn für kurze Zeit auf.

Jetzt sucht er einen Job. Er bekommt schließlich einen – als Betreuer Behinderter. Er ist beileibe kein Fachmann, hat aber ein gutes Herz. Die frühere Betreuerin drillte ihre Schützlinge nur, gelernt hatten sie nichts, außer vielleicht „die Kunst, sich die Schuhe zu binden“.

Alex ist geduldig und nachsichtig. Er geht davon aus, dass auch einer, der auf einem Gebiet beeinträchtigt ist, auf einem anderen durchaus Fähigkeiten entwickeln kann. Und so scheint es. Langsam entsteht gegenseitiges Vertrauen. Er meldet seine sechsköpfige Truppe sogar bei „Schweden sucht den Superstar“ an. Der erste Versuch misslingt. Dann aber formt sich mit der Zeit eine richtige Theatertruppe („Glada Hudik“), die großen Erfolg haben wird – sogar im Ausland. Inzwischen, so wird gesagt, sind es acht Produktionen geworden.

Vier der sechs (Leif, Ebbe, Katarina, Kristina, Filippa und Kjell-Ake) haben eine deutliche Behinderung, zwei offenbar eine geringere. Sie harmonieren untereinander sowie mit Alex und sind mit Geduld etwas geworden. „Konnte das erste Stück nur 400 Zuschauer verbuchen, so sahen die letzte Produktion ELVIS rund 110 000 Zuschauer in ganz Schweden.“

Auch Alex ist durch diese menschliche Arbeit ein anderer, ein reiferer Mann geworden. Es besteht sogar die Chance, dass er und seine Freundin (mit kleiner Tochter) für immer ein Paar werden.

Formal ist der Film sehr einfach gemacht. Das Wichtigste ist die Botschaft: Geduld mit Menschen, die in irgendeiner Weise beeinträchtigt sind, gänzliche Aufnahme in die Gemeinschaft, Schluss mit Jahrhunderte langen falschen Haltungen und Verhaltensweisen.

Thomas Engel