In den ersten Jahren der wiedervereinigten Bundesrepublik erschütterten etliche Anschläge das Land, meist von Rechtsextremen gegen Migranten verübte Taten, manche tödlich. Drei Menschen starben im November 1992 in Mölln, Jahrzehnte Täter sind die Folgen noch spürbar, wie Martina Priessner in ihrem Dokumentarfilm „Die Möllner Briefe“ zeigt.
Über den Film
Originaltitel
Die Möllner Briefe
Deutscher Titel
Die Möllner Briefe
Produktionsland
DEU
Filmdauer
96 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Priessner, Martina
Verleih
Real Fiction
Starttermin
25.09.2025
Angesichts des Taumels der Wiedervereinigung und des Jubels über den WM-Titel 1990 wurde lange übersehen, wie es im Land brodelte. Auch, aber nicht nur im Osten der Republik kam es Anfang der 90er Jahre immer wieder zu Angriffen auf Asylbewerber, auf Menschen mit Migrationshintergrund, wie man heute sagen würde, in Rostock oder Hoyerswerda. Der Staat, die Polizei, schaute oft nur zu, wie Asylunterkünfte von einem Mob angegriffen und mit Molotowcocktails in Brand gesteckt wurden.
Am 23. November 1992 kam es im schleswig-holsteinischen Mölln zu einem besonders schweren Anschlag: Erst in der Ratzeburger Straße wurde ein Haus, in dem türkischstämmige Menschen wohnten angezündet, etwas später auch in der Mühlenstraße. Drei Menschen kamen ums Leben, die zehnjährige Yeliz Arslan, die 14-jährige Ayse Yilmaz und die 51 Jahre alte Bahide Arslan, die versucht hatte, die beiden Mädchen zu retten. Ihr damals siebenjähriger Enkel Ibrahim Arslan verdankt ihr sein Leben, in ein nasses Bettlaken gehüllt überlebte er.
Regelmäßig finden seitdem offizielle Gedenkveranstaltungen statt, Plaketten wurden enthüllt, Reden gehalten. Oft ohne die Angehörigen einzubeziehen oder gar auf deren Sicht der Dinge einzugehen. Als „Beileidstourismus“ wurde oft beschrieben, wie sich Politiker nach diesem oder den allzu vielen anderen Anschlägen verhielten, die seitdem in der Bundesrepublik stattgefunden haben: Betroffen schauen, Hände schütteln, im Namen der Gesellschaft Konsequenzen ankündigen und dann meist schnell zur Tagesordnung übergehen.
Auch von dieser Unfähigkeit, mit einem Anschlag wie dem von Mölln umzugehen, erzählt Martina Priessners Dokumentarfilm „Die Möllner Briefe“, der bei der Berlinale vielfach ausgezeichnet wurde und einen speziellen Ansatz verfolgt. Die Briefe des Titels sind Briefe von hunderten Bürgern, die nach dem Anschlag ihre Betroffenheit und Solidarität ausgedrückt haben, Briefe, die an die Angehörigen gerichtet waren, aber mangels einer genauen Adresse an die Stadt geschickt wurden – und von dieser Jahre lang unter Verschluss gehalten wurden. Ob aus Ignoranz, Desinteresse, Überforderung mit der Situation lässt sich so viele Jahre später nicht mehr sagen, die damaligen und heutigen Verantwortlichen äußern sich ausweichend und sagen damit mehr, als ihnen vermutlich bewusst ist.
Inzwischen befinden sich die Briefe im Besitz der Angehörigen, finden sich digitalisiert auf der Seite des DOMiD, dem Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Köln. Drei der damaligen Briefeschreiber hat Priessner ausfindig gemacht und Treffen mit Ibrahim Arslan organisiert, der seine Lebensaufgabe im Versuch gefunden hat, die Erinnerung an den Anschlag wach zu halten und über Rassismus in Deutschland zu informieren.
Sein Bruder Namık dagegen hat, wie er es selber sagt, seinen Kummer in sich hineingefressen und leidet an starkem Übergewicht. Ihre Schwester Yeliz wiederum, wurde erst nach dem Anschlag geboren, erhielt mit dem Namen ihrer verstorbenen Schwester aber eine Bürde, die sie oft belastet.
Unaufgeregt und zurückhaltend beobachtet Priessner die Geschwister, zeigt besonders Ibrahim bei seinen unaufhörlichen Bemühungen, die Erinnerung an den Anschlag am Leben zu erhalten, vom Staat und der Stadt Mölln einen würdevollen Umgang mit den Angehörigen zu fordern. Wie schwer es dem deutschen Staat immer noch fällt, bei einem solchem Anschlag an deutschen Mitbürgern zu agieren, zeigt sich immer wieder, zuletzt in Hanau, denn allzu viel gelernt wurde nicht aus den Ereignissen der frühen 90er Jahre, weder in der Gesellschaft und schon gar nicht in der Politik.
Michael Meyns