Wie die 23-jährige Rahima und ihr zehn Jahre jüngerer Bruder Nedim als Waisen im Sarajevo nach dem Bosnienkrieg leben, erzählt viel von einer Gesellschaft im Übergang, die vor allem moralisch erschüttert ist. Dabei beeindruckt die stolze Hauptfigur mit ihrem unnachgiebigen Kampf für eine bessere Zukunft in dem zweiten großartigen Film von Aida Begiæ („Snow“).
Webseite: www.djeca-derfilm.de
Bosnien und Herzegowina, BRD, Frankreich, Türkei 2012
Regie: Aida Begiæ
Darsteller: Marija Pikiæ, Ismir Gagula, Bojan Novojec, Sanela Pepeljak, Vedran Ðekiæ, Mario Knezoviæ
Länge: 90 Min,
Verleih: barnsteiner-film
Kinostart: 9.11.2013
PRESSESTIMMEN:
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FILMKRITIK:
Rahima (Marija Pikiæ) ist eine stolze, eigenständige und vor allem eigenwillige Frau: Die 23-jährige Waise will keine Hilfe annehmen, obwohl sie unter ihren Belastungen in einem nicht besonders sozialen Staat und der brutalen Nachkriegs-Gesellschaft Bosniens fast zusammenbricht. Eine ganz nahe Handkamera, die wir von den Filmen der Dardenne-Brüder kennen, zieht uns in das ruhelose Leben der jungen Bosnierin hinein: Ihre Wege zur Arbeit, der Stress beim Job in Restaurant und Küche, die Besorgungen für den verwöhnten 13-jährigen Bruder (Ismir Gagula). Mit dem hektischen Eilen und Machen bis zur völligen Erschöpfung läuft die Frau unverkennbar Erinnerungen davon. Erinnerungen an den jugoslawischen Bürgerkrieg, die nur gestreift werden, aber selbst diese kurzen Momente verstärken die Unruhe, ein unentrinnbar unwohles Gefühl. Nur für die Zicke vom Jugendamt verbiegt sich Rahima etwas, denn noch stärker als der Stolz ist die Sorge um den Bruder.
Doch Nedim ist nur mit Videospielen beschäftigt und sucht sich in einem tief gründenden Frust die falschen Freunde. Er spielt mit einer Waffe rum und legt sich, als er sich gegen brutale Mitschüler wehrt, ausgerechnet mit dem Sohn eines noch immer mächtigen Mannes an. Dessen rechtloser Einfluss bedroht den Job Rahimas...
Die Kunst dieses Films liegt darin, dass Leben im Sarajevo von Heute nicht nur über Fakten vermittelt wird. Wir bekommen noch stärker ein Gefühl dafür, an dieser Bruchkante zwischen den ethnischen Gruppen, zwischen Krieg und ungewisser Zukunft, zwischen Hass und Hoffnung zu stehen. Die Granaten-Einschläge im Stadtbild sind offensichtlich, aber nicht so heftig wie die Traumata, die von den Menschen mitgeschleppt werden. Kinderspiele führen den Bosnien-Krieg weiter, Silvester-Böller erschrecken als Nachhall der echten Bombenexplosionen. Gelacht wird wenig, zynische Scherze aus harten Gesichtern reihen sich in die anderen Drohungen ein. Die Fratzen von Krieg und Gewalt begegnen einem an jeder Ecke. Dass Rahima Halt in der Religion sucht, dass sie ihr Kopftuch nicht ablegen will, verstärkt die Aggression der anderen. Das alles kann dann fast nur in einer surrealen, sehr offenen Szene im Nebel aufgelöst werden, die noch einmal alles enthält: Bedrohung, Angst, Mut und Schritte in die Zukunft.
„Djeca - Kinder von Sarajevo“ ist nach „Snow“, der 2008 in Cannes die „Kritikerwoche“ gewann, der zweite beeindruckende Film der bosnischen Regisseurin Aida Begiæ. Er lief 2012 erneut in Cannes, diesmal direkt in den „Certain Regard“. Sie selbst kommentierte treffend: „Gerade wenn du denkst, dass Krieg das Schlimmste ist, was dir passieren kann, kommt der Frieden. Frieden in meinem Land – einem Land im Übergang – hat einen totalen Zusammenbruch des Systems, ein Aussetzen von Logik, Moral und oftmals auch der Vernunft zur Folge gehabt. Resignation ist heute das vorherrschende Gefühl in Bosnien Herzegowina.“ Eine Stimmung die „Djeca“ zwar einfängt, aber genau wie ihre starke Protagonistin nicht drin verharrt. So schafft es der sehr eindrucksvolle Film, zu berühren und gar zu erschrecken, doch er hinterlässt tatsächlich ein gutes Gefühl. Wegen der intensiven (Mit-) Erlebnisse, die er bei einer ganz enormen Beherrschung des filmischen Handwerks beschert, wegen der eindrucksvollen Hauptdarstellerin Marija Pikiæ, die fast den ganzen Film trägt, und wegen der besonderen Schlussszene, die auf sehr poetische Weise Hoffnung gibt.
Günter H. Jekubzik