Drachenlaeufer

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Basierend auf dem Bestseller von Khaled Hosseini inszeniert Marc Forster einen erstaunlichen Film. Mit großer Zurückhaltung und Einfühlungsvermögen erzählt er die Geschichte von zwei Freunden, die im Kabul der späten 70er Jahre aufwachsen. Ihre Lebenswege werden durch Krieg, Diskriminierung, vor allem aber Angst vor der eigenen Courage in Richtungen gelenkt, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. So wurde „Drachenläufer“ ein großer, bewegender Film über Schuld und Sühne, Vertrauen und Entfremdung, Mut und Zivilcourage. Ein Film über die Schatten der Vergangenheit, die Schrecken der Gegenwart und die Hoffnung der Zukunft. Ein überragender Film, der idealtypisch anhand einer persönlichen Geschichte große Politik erzählt.

Webseite: www.drachenlaeufer-film.de

OT: The Kite Runner
USA 2007
Regie: Marc Forster
Buch: David Benioff, nach dem Roman von Khaled Hosseini
Kamera: Roberto Schaefer
Schnitt: Matt Chesse
Musik: Alberto Iglesias
Darsteller: Khalid Abdalla, Homayoun Ershadi, Zekeria Ebrahimi, Ahmad Khan Mahmidzada, Nabi Tanha
122 Minuten, Format: 1:2,35 (Scope), frei ab 12 Jahren
Verleih: Universal
Kinostart: 17. Januar 2008

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Es ist kaum möglich, die Geschichte von Marc Forster „Drachenläufer“ wiederzugeben, zu weitschweifend und vielschichtig ist das Erzählte. Beginnend in Amerika, wo der erwachsene Amir gerade sein erstes veröffentlichtes Buch in Händen hält, führt eine lange Rückblende ins Kabul der späten 70er Jahre, vor dem Krieg mit der Sowjetunion, vor den Taliban, vor den Amerikanern. Dort wachsen die beiden Jungen Amir und Hassan als beste Freunde auf, obwohl sie zu unterschiedlichen Ethnien gehören. Amir, der Pashtune, gehört mit seinem Vater Baba zur bürgerlichen Elite Afghanistans, während Hassan, der mit seinem Vater Ali, Angestellter Babas ist, zur Minderheit der Hazaras gehört. Für die Kinder spielt dies (noch) keine Rolle, und doch wird sie Ursache ihrer Entfremdung sein: Hassan wird von einigen Jugendlichen verprügelt und vergewaltigt, eine schwer zu ertragende Szene, so diskret gefilmt wie nur möglich und dennoch enorm ergreifend. So wie der ganze Film, der es fast über die gesamte Länge schafft, zurückhaltend zu sein, auf jegliche platte Emotionalisierung verzichtet, fast einen distanzierten Blick zum Gezeigten einnimmt. Und dennoch erzeugt er eine Atmosphäre von Traurigkeit und Verlust, wie man sie lange nicht erlebt hat. Selbst in den anfänglichen Momenten der Freude, wenn die Jungs ihre Drachen steigen lassen und gar den traditionellen Drachenläufer-Wettbewerb gewinnen, schwingt stets eine Bedrohung mit, eine Ahnung dessen, was kommen wird.
Bald nach dem Ende der Freundschaft zwingt der Einmarsch russischer Truppen Amir und seinen Vater, das Land zu verlassen und ins amerikanische Exil zu flüchten. Dort muss der Intellektuelle Baba in einer Tankstelle arbeiten, während Amir erste Schritte auf dem Weg zum Schriftsteller macht.
 

Dieses Geschichtenerzählen ist eines der Leitmotive des Films, die Amir mit seinem Land, seiner Herkunft in Verbindung bleiben lässt, auch wenn er ein Leben in Amerika führt. Und schließlich führt es ihn zurück in seine Heimat, die inzwischen von den Taliban in eine freudlose Welt verwandelt wurde, in der selbst das Drachen steigen lassen verboten ist. Hierhin kehrt Amir zurück, um seine Schuld wieder gutzumachen. Denn damals bei der Vergewaltigung seines Freundes nur zugesehen, hatte nicht gewagt einzugreifen und Hassan zu helfen. Hassan selbst ist inzwischen gestorben, aber sein Sohn lebt und ermöglicht es Azir nun, den Mut zu beweisen, den er einst vermissen ließ.

Dies ist fraglos eine etwas forcierte Konstruktion, eine strukturelle Dopplung, die sich durch den Film zieht und nicht immer glaubwürdig wirkt. Doch dies ist nur ein kleines Manko angesichts des erzählerischen Reichtums von Marc Fosters Film. Ohne sich in Details zu verlieren, ohne viele Erklärungen zu geben, entwirft er ein breites Panorama afghanischer Geschichte. Von den internen Problemen und Missständen, bis zur Tragik der Exilgemeinde in Amerika, die zwischen Tradition und Moderne schwebt. Allein die Tatsache, das sich hier ein westlicher Film einem Land und einem Volk annimmt, das nicht erst in den letzten Jahren hinter Klischees und Vorurteilen zu verschwinden droht, wäre aller Ehren wert. Dass er es mit solch einem Maß an Einfühlungsvermögen tut, mit einem Blick, der weder beschönigend, noch dramatisierend ist, macht die wahre Klasse von „Der Drachenläufer“ aus.

Michael Meyns

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Khalid Hosseinis Bestseller ist die Grundlage dieses Films über Menschen eines Landes, das seit 30 Jahren nicht zur Ruhe gekommen ist: Afghanistan. Schon allein dieser Umstand lässt die Aufmerksamkeit größer werden – zu Recht. Marc Forster als Regisseur hat sich vor allem durch „Monster’s Ball“ ausgewiesen.

Die Handlung, die sich über Jahrzehnte erstreckt, ist gleichzeitig Teil der Lebensgeschichte von Amir, der seine Kindheit in Kabul verbringt, später nach Amerika emigriert, dort studiert und heiratet – und irgendwann dringend nach Afghanistan zurückgerufen wird.

Amir und Hassan sind Kinderfreunde. Drachen steigen lassen ist ihr großes Hobby. Ein Wettbewerb wird ausgetragen, den Amir gewinnt. Die Freude ist groß, dauert aber nicht lange. Denn Amir, der unter der strengen Fuchtel seines Vaters lebt, verrät Hassan, als dieser in Not ist. Hassan fügt sich. Sein Vater verliert später den Arbeitsplatz in Amirs Familie.
Amir lebt jetzt als Erwachsener in den USA. Er hat seinen akademischen Grad. Der Vater seiner afghanischen Braut hatte, nicht zuletzt aus Stammesgründen, die Heirat zunächst abgelehnt, doch die Liebenden setzten sich schließlich durch. Amir hat ein Buch geschrieben. Plötzlich ein Telefonanruf. Amir muss zurück nach Afghanistan. Es gilt, einen Neffen zu retten. Aber das ist mit unendlich gefährlichen politischen Verwicklungen verbunden.

Ein Zeitbild von Gewicht. Das gilt sowohl für den historisch-politischen Aspekt als auch für den persönlich-menschlichen. Man darf nicht vergessen, dass die Sowjets das Land jahrelang besetzt hielten und dass danach die Taliban es unterdrückten, eine Entwicklung, die alles andere als abgeschlossen ist.

Natürlich beeinträchtigen solch verheerende und Jahrzehnte dauernde Geschehnisse den Lebensablauf der Menschen, vor allem Amirs in diesem Fall. Viele charakteristische Szenen zeigen das, im Guten wie im Schlechten. Und sie schildern es handlungsmäßig, szenisch und schauspielerisch gut: zum Beispiel Amir, der als Kind Geschichten schreibt, in denen Tränen zu Perlen werden; Amirs Geburtstagsempfang und die Sache mit der gestohlenen Uhr; der Einfall der Sowjets und der Vergewaltigungszwischenfall an der Grenze zu Pakistan; die afghanische Hochzeitsfeier; das Schreckensregime der Taliban, die sogar das Drachen steigen lassen verbieten; die Waisenhausszenen; die Begegnung mit dem Taliban-Krieger Asseff, einem Bandenchef Gegner von früher; nicht zuletzt die Tatsache, dass mit Bestechung eine Menge zu erreichen ist.

Eine ansehnliche, manchmal kraftvolle, manchmal berührende, manchmal etwas zerdehnte Lebens- und Zeitschilderung.

Thomas Engel