Draussen bleiben

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Bei den Hofer Filmtagen sprach sich beim Bratwurstgeflüster schnell herum: In „Draußen bleiben“ müssen alle rein. Ein Dokumentarfilm, der im Asylbewerberheim spielt, das klingt ja zunächst nach dem Sex-Appeal von Guido Knopp, aber dann entpuppt sich dieser Film als ein Geschenk für das deutsche Kino. Eine Geschichte über zwei junge Frauen auf der Schwelle zwischen illegal und scheißegal, Kindsein und Frausein, Lebensfrust und Lebensfreude. Eine Albanerin und eine Uigurin – die Stars der Saison im deutschen Off-Kino.

Webseite: www.draussenbleiben.de

Deutschland 2007
Regie: Alexander Riedel
Darsteller: Valentina Llazicani, Suli Kurban, Diana Cisse, Zulpi Kurban, Burkibar Cisse.
Länge: 84 Min.
Verleih: Zorro
Kinostart: 8.5.2008

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Valentina steht vor dem Spiegel, ruft „Fuck you!“, übt mit dem Mittelfinger die richtige Dynamik der Geste und muss lachen. „Was machst Du?“, fragt ihre Freundin Suli aus dem Off. Ganz klar: Valentina versucht, ihren Mittelfinger effektvoll einzusetzen, denn das ist besser, als wenn sie ihre Fäuste benutzt. 

Valentina und Suli sind die Heldinnen in „Draußen bleiben“ und sie sind wahre Heldinnen:  Zwei junge Frauen, die als Kinder nach Deutschland gekommen sind und jetzt versuchen, ein Münchner Asylbewerberheim ihr Zuhause zu nennen. Suli ist geduldet in Deutschland, Valentina nicht wirklich. Alle zwei Monate verlängern die Behörden der Bundesrepublik für ein paar Wochen den Aufenthalt ihrer Familie. Zeit, die Valentina nutzt, ihren Platz im Leben zu suchen,  zu kicken,  mit der Clique abzuhängen, sich mit der Polizei anzulegen, oder sich vorzunehmen, dass jetzt alles anders werden muss. 

Gemeinsam mit ihren Freundinnen, Brüdern und Eltern gehören die beiden zu einer Anderswelt, die wir als Durchschnittsdeutsche noch nie betreten haben. Familien aus Albanien, China, verschiedenen Staaten Afrikas und wer-weiß-woher wohnen mitten in München. Ihr Zuhause ist ein Hühnerstall-gleicher, grauer Bau; die Küche erinnert an Jugendherbergen aus den 60ern, alle Würde wäre perdu, würden die Bewohner sie nicht täglich selbst herstellen.

„Draußen bleiben“ zeigt Valentina und Suli aber nicht als Opfer, sondern Menschen, deren Persönlichkeit durch die Kamera aufstrahlt. Regisseur Alexander Riedel (Absolvent der HFF München) hat sich monatelang das Vertrauen der Mädchen und ihrer Mitbewohner erarbeitet, hunderte von Gesprächen und Fotos gingen den Dreharbeiten voraus, und genau dieses Vertrauen schafft die Grundlage für „Draußen bleiben“, der kein Themenfilm „über“ zwei Asylbewerberinnen ist, sondern ein Kinofilm mit ihnen.

Riedel und sein Kamermann Martin Farkas haben mit zwei Kameras gearbeitet: Die Totalen (und Räume) haben sie mit der 16mm- Kamera regelrecht komponiert, perfekt kadriert, mitreißend fotografiert, den Mädels aber mit der beweglichen HDV–Cam allen Freiraum und jede Spontaneität  gelassen. So wirken die Bilder, als stammten sie aus einem Visconti-Film: sie beschreiben das Leben der Asylsuchenden Valentina und Suli und lassen den beiden jungen Frauen doch ihr Geheimnis, gerade so als wäre sie die Heldinnen eines Spielfilms. 
„Draußen bleiben“ ist „Better than Fiction“ – wirklich ein Geschenk für das deutsche Kino.

Sandra Vogell 

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Münchner Stadtrand. Eine Siedlung, in der ausländische Bewohner zu Hause sind. Sind sie wirklich zu Hause?

Es sind Iraker, Chinesen, Kosovaren, Afghanen. Die verschiedensten Nationen und die unterschiedlichsten Religionen. Ob sie aus politischen oder aus wirtschaftlichen Gründen gekommen sind, ist nicht auszumachen. Manche verfügen über eine Aufenthaltserlaubnis, manche nicht, sind nur geduldet. Letztere riskieren die Abschiebung. 

Sie wohnen nicht gerade komfortabel. Stockbetten, mehrere Personen in einem Zimmer. Die Umgebung erscheint ziemlich trostlos und verwahrlost. 

Von den Erwachsenen erfährt man nicht viel in diesem Film. Es geht um die Kinder, die Teenager, die Jugendlichen, um die knapp unter 16jährigen Mädchen vor allem. Insbesondere um Valentina (aus dem Kosovo) und Suli (Uigurin aus dem Nordwesten Chinas). Sie haben ihre Zukunft, ihren Beruf, ihren Lebenspartner, ihr Lebensmilieu noch nicht gefunden.

Erzählungen: von den Eltern, von den Schwierigkeiten in der Schule, von den Begegnungen mit der Polizei, von den Festnahmen, von dem auch unter den Flüchtlingen herrschenden Rassismus, davon, dass sie Deutschland nicht mehr verlassen wollen.

Bis alles besser wird, hängen sie herum, spielen Fußball, versuchen sich als Rapper, gehen in die Disco, unterhalten sich, passen aufeinander auf, langweilen sich, geloben Besserung in der Schule. 

Es ist ein thematisch wie filmisch ziemlich überzeugender Blick auf einen Zustand, der nur eine Übergangslösung sein kann. Ein Blick auf ein Problem, das vorerst – auch quantitativ – noch größer werden dürfte und bei dessen politischer Lösung in absehbarer Zeit das richtige Maß gefunden werden muss zwischen der Linderung der Not der Flüchtlinge, deren Zustimmung zur Integration und der Bereitwilligkeit des Aufnahmelandes, in diesem Falle also Deutschlands.

Der Film politisiert nicht direkt, er macht aber einmal mehr ein wichtiges Drama sichtbar, dem sich niemand verschließen kann.

Thomas Engel