Effigie – Das Gift und die Stadt

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Filme über Serienkiller erwartet man eher aus Amerika und bei Netflix, nicht jedoch aus Deutschland. Udo Flohr hat nun mit geringstem Aufwand und abseits der deutschen Filmförderungsstrukturen das erstaunliche Leben der Bremerin Gesche Gottfried verfilmt. „Effigie – Das Gift und die Stadt“ überzeugt dabei weniger durch ausladende Ausstattung als durch genaue Figurenzeichnung und entwickelt sich trotz mancher Schwächen zu einem bemerkenswerten Krimi-Drama.

Website: https://www.filmdisposition-kino.de/

Deutschland 2019
Regie: Udo Flohr
Buch: Peer Meter, Udo Flohr, Antonia Roeller
Darsteller: Suzan Anbeh, Elisa Thiemann, Christoph Gottschalch, Uwe Bohm, Roland Jankowsky
Länge: 85 Minuten
Verleih: Filmdisposition Wessel
Kinostart: 20.1.2021

FILMKRITIK:

Anfang des 19. Jahrhunderts vergiftete Gesche Gottfried (Suzan Anbeh) in Bremen 15 Menschen mit Arsen. Nach vielen Jahren, während der sie unerkannt morden konnte, wurde sie schließlich doch gefasst und 1831 hingerichtet. Was sie zu ihren Taten getrieben hat blieb ein Rätsel, unterschiedliche Theorien machten im Lauf der folgenden Jahrzehnte die Runde, aber da Gottfried sich weitestgehend ausschwieg, bleiben die Gründe für ihre Taten im Dunkeln – und damit Gelegenheit für künstlerische Projektionen.

Rainer Werner Fassbinder brachte die Geschehnisse mit seinem Antiteater auf die Bühne, 1972 entstand aus der Bühnenproduktion der Fernsehfilm „Bremer Freiheit“, der Gottfried als typisch Fassbindersche Frau zeigte, die zu selbstbewusst agiert, um von ihrer konservativen Umgebung akzeptiert zu werden.

1988 wurden zahlreiche bis dahin unter Verschluss gehaltene Akten zum Prozess freigegeben, die nun die Basis für einen neuen filmischen Blick auf den Fall bilden. Zusammen mit Peer Meter und Antonia Roeller schrieb Udo Flohr das Drehbuch zu seinem Debütfilm „Effigie – Das Gift und die Stadt“, der bemerkenswerterweise komplett außerhalb der üblichen deutschen Filmförderstrukturen entstand. Kaum eine halbe Millionen Euro hat die Produktion gekostet, was einerseits deutlich zu spüren ist, andererseits auch zu kreativen Entscheidungen geführt hat, die der Authentizität der Erzählung zu Gute kommen.

Flohr erzählt die historischen Ereignisse aus der Sicht der jungen Frau Cato Böhmer (Elisa Thiemann), die 1828 nach Bremen kommt, um eine Stelle als Protokollantin des Untersuchungsrichters Droste (Christoph Gottschalch) anzutreten. Der ist zunächst irritiert von seiner weiblichen Angestellten, spielen Frauen zu diesem Zeitpunkt im deutschen Rechtswesen gemeinhin keine Rolle. Doch Cato hat große Ziele: Sie träumt davon, Juristin zu werden, doch ein Studium in Deutschland ist zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen.

Eine Anzeige des Müllermeisters Steitz ruft Droste auf den Plan, die Möglichkeit eines Giftanschlags steht im Raum, zunächst erscheint Gesche Gottfried als mögliches Opfer, doch bald erweist sich die attraktive und lebenslustige Witwe als Verdächtige. Beweise für die Täterschaft Gottfried gibt es jedoch keine und so sieht sich Droste zunehmend unter Druck der Stadtoberin. Und erst ein Verhör von Frau zu Frau bringt Licht ins Dunkel.

Als Justizdrama beginnt „Effigie – Das Gift und die Stadt“, gefilmt in wenigen, offenbar authentisch erhaltenen Räumen in Bremen, in denen die Darsteller eher agieren, als wären sie in der Gegenwart, als im 19. Jahrhundert. Zwar verleihen zeitgenössische Kostüme dem Geschehen den Anstrich von Historizität, doch der Blick auf den Fall der Geche Gottfried ist durch und durch modern. Doch die zeitgeistigen, feministischen Subtexte bleiben unterschwellig, die beiläufige Unterdrückung, der sich beide Frauenfiguren ausgesetzt sehen, wird nebenbei miterzählt und bekommt gerade dadurch erst Bedeutung.

Die reduzierten finanziellen Mittel machen sich zwar gerade in Kameraführung und Lichtsetzung immer wieder bemerkbar, doch der vielleicht auch aus der Not geborene Ansatz, einen historischen Stoff wie ein modernes Drama zu inszenieren, verleiht „Effigie – Das Gift und die Stadt“ über weite Strecken auch eine Frische und Lebendigkeit, die Udo Flohrs Debütfilm bemerkenswert macht.

Michael Meyns